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Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Titel: Nachtwesen - Die Vollstreckerin
Autoren: Sabine Pagel
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welche einen lockenden Duft verströmten. Ihre Eltern standen liebevoll vereint daneben und begrüßten Kyrana mit einem herzlichen Lächeln. „Die Götter mit dir, Tochter.“ Sanft nahm Jara sie in die Arme und hauchte einen Kuss auf ihren weißen Scheitel. „Und mit dir, Mutter“, erwiderte sie artig, bevor sie auch von ihrem Vater sanft umarmt wurde.
    „Sieh doch!“ Selbst mindestens genauso gespannt wie Kyrana, nahm ihre Mutter sie an der Hand und geleitete sie um den Tisch herum zu einem der Stühle. Darüber fein säuberlich drapiert, lag ein zusammengefaltetes Gewand. Der Stoff schimmerte seidig blau, beinahe schwarz, und als Kyrana staunend darüber strich, raschelte er leise. „Deine erste bodenlange Robe, Kind.“ Stolz sah Jara zu ihrem Gemahl hinüber, welcher wohlwollend nickte.
    Seine kleine Tochter machte mit ihrem zehnten Wiegenfest den ersten Schritt zur jungen Dame. Ab diesem Tage waren wadenlange Gewänder Vergangenheit. „Probiere es doch einmal an...“ Die Stimme Vedyns schwankte vor Rührung, während er nun scheinbar interessiert den gedeckten Tisch begutachtete. „Danke!“ Ehrfürchtig ergriffen Kyranas zierliche Finger das Gewand. Vorsichtig, als könne es dabei zerreißen, schlüpfte sie hinein, nachdem sie das Schlafhemd achtlos zu Boden hatte fallen lassen.
    Tränen traten in Jaras Augen, als sie nun zärtlich das Haar ihrer Tochter aus dem Kragen der Robe hob und es um deren schmale Schultern ordnete. „Wunderhübsch siehst du aus, Kleine“, flüsterte sie. Kerzengrade saß Kyrana kurz danach auf ihrem Stuhl und versuchte, sich auf das Frühstück zu konzentrieren. Doch immer wieder musste sie zwischendurch über den feinen Stoff des Gewandes streichen.
    „Es gibt noch eine Überraschung“, drang die leise Stimme ihrer Mutter schließlich an ihr Ohr und ließ sie erstaunt aufschauen. „Du darfst mich heute hinauf begleiten.“ - „Hi...nauf?!“ Kyrana wusste, was das bedeutete. Oben in den Hügeln außerhalb von Nocrya standen die fünf prächtigen Anwesen der obersten Nachtwesen. In einem davon hatte Jara schon seit Jahren eine Anstellung.
    Genau genommen war ihr die Arbeit kurz nach Kyranas Geburt angetragen worden. Kelmar Xyn höchst selbst hatte nach ihr geschickt an jenem Tag. Er war der Oberste des Ersten der fünf Häuser und somit kam seine Stellung einem Herrscher gleich. Seitdem wanderte Jara tagtäglich in den Nachmittagsstunden hinauf in die wild bewachsenen Hügel westlich der Stadt, um ihre Arbeit in der Bibliothek seines düsteren Anwesens zu verrichten.
    Mit Mühe widmete sich Kyrana den feinen Speisen, welche ihre Mutter so liebevoll vorbereitet hatte. Doch war sie nun gar nicht mehr bei der Sache. Am liebsten wäre ihr gewesen, sie könnten sogleich aufbrechen. Doch Geduld war eine Tugend und so mümmelte sie angestrengt an Honigkuchen und Milch, bis schließlich Jara die Tafel aufhob und der Vater sich verabschiedete, um seiner Arbeit nachzugehen. Wie eine kleine Prinzessin thronte sie wartend an dem, mittlerweile abgeräumten Tisch und verfolgte mit ihren roten Augen jede Bewegung ihrer Mutter, welche emsig die Wohnküche aufräumte.
    Jara war aufgeregt und ein wenig besorgt um ihre kleine Tochter. Sie wusste um deren Hang zur Einsamkeit und ihre Liebe zu allem Mystischen. Und wer konnte wohl geheimnisvoller sein als Kelmar? Jener selbst hatte sie ersucht, das Kind an seinem zehnten Wiegenfest hinauf zu bringen.
    Wobei er nicht erwähnt hatte, aus welchem Grund. Zu fragen hatte sie sich nicht gewagt. Man belästigte den Obersten nicht mit Fragen, schon gar nicht als untergebener Mensch. So begann sie zu trödeln und unnötigerweise Dinge hin und her zu räumen, während Kyrana auf ihrem Stuhl immer ungeduldiger herumrutschte.
    Einen kleinen Zipfel ihrer neuen Robe drehte sie dabei aufgeregt zwischen den Fingern, natürlich unter dem Tisch, dort, wo es ihre Mutter nicht sehen konnte. „Mutter, ist es denn bald soweit? Gehen wir los?“ Jara nickte und rang sich ein Lächeln ab, wusste sie doch, dass es keinen Sinn haben würde, den Gang weiter hinauszuzögern.
    *
    Die Mittagssonne hatte gerade ihren höchsten Stand überwunden, als sich Kyrana neben ihrer Mutter dem imposanten Domizil der Nachtwesen näherte. Ein ausgetretener Pfad durch den dichten Wald bildete den einzigen Zugang zu jenem abgelegenen Gemäuer. Mit staunend geöffnetem Mund durchschritt sie den Torbogen und sah über den, mit Kopfsteinen gepflasterten, Innenhof.
    „Ein
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