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Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)

Titel: Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Gabriela Gwisdek
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auf ihren Hilferuf jedoch mit bedauerndem Kopfschütteln reagierten.
    »Was mach’ ich denn jetzt, verdammt«, flüsterte Alexandra, während sie die Hand der alten Frau tätschelte und deren Mann hilflose Blicke zuwarf.
    »So lassen Sie mich doch durch, Himmel noch mal!«, polterte eine tiefe männliche Stimme vom Ende des Zugabteils.
    Kurz darauf stand ein junger Mann in zerrissenen Jeans und ebenso verschlissenem Shirt neben ihr. Ohne weitere Worte zu verlieren, schob er den Ehemann auf den gegenüberliegenden Sitz, legte mit geübten Griffen die alte Dame auf die Bank und hob deren Beine nach oben.
    »Hier, halten Sie mal«, sagte er knapp und deutete Alexandra an, die Beine der Frau möglichst hoch zu halten. Nach einem, für Alexandras Empfinden eindeutig zu derben Schlag auf die Wange der alten Frau öffnete diese die Augen.
    »Na bitte. Alles gut, Frau …? Hören Sie mich?«
    Die Frau nickte schwach und setzte sich, von Alexandra gestützt, wieder auf. Benommen sah sie zu ihrem Mann hinüber und schüttelte dabei unentwegt den Kopf. Alexandra musterte den jungen Mann, den sie auf Anfang zwanzig schätzte.
    »Danke. Das mit dem Beinehochlegen ist mir nicht eingefallen.«
    Der junge Mann griff, ohne zu fragen, nach der Wasserflasche eines Schaulustigen und drückte sie dem Ehemann der alten Dame in die Hand.
    »Trinken Sie! Am besten alles, dann geht’s wieder!«
    Der Mann tat es fast mechanisch.
    »Medizinstudent, oder?«, sagte Alexandra mehr anerkennend als fragend.
    Der junge Mann sah sie belustigt an. »Nee, vom Bau.«
    Er warf noch einen prüfenden Blick auf das Ehepaar, nickte Alexandra zu und verschwand dann wieder im hinteren Bereich des Abteils. Sie wollte gerade zu ihrem Platz zurückkehren, als sie durch einen unterdrückten Aufschrei an den Auslöser für den Zusammenbruch der alten Dame erinnert wurde. Darauf vorbereitet, etwas schier Entsetzliches zu sehen, wagte sie einen zaghaften Blick nach draußen. Noch bevor sie sich abwenden konnte, brannte sich das Bild in ihr Gedächtnis. Der abgetrennte Kopf einer jungen Frau mit weit aufgerissenem Mund und offenen Augen stand aufrecht im Schotterbett der Gleise. Ihr Antlitz, durch den Tod zur Fratze verzerrt, schien mit angsterfülltem Blick geradewegs hinauf zu den entsetzten Menschen zu starren.
    Fast schlagartig wurde ihr klar, dass der Fuß und dieserKopf zu ein und derselben Person gehörten. Die Frau musste quer über dem Bahngleis gelegen haben. Alexandra unterdrückte den aufkommenden Brechreiz und taumelte zu ihrem Sitzplatz zurück. Inzwischen hatten die meisten Fahrgäste verstört ihre Plätze verlassen und sich auf die dem Frauenkopf abgewandte Seite des Zugabteils gesetzt. Mindestens eine halbe Stunde lang passierte nichts. Über Lautsprecher wurde den Fahrgästen mitgeteilt, dass ein unvorhergesehenes Ereignis die Fahrt für mindestens zwei Stunden unterbrechen würde. Man bitte um Verständnis, dass niemand den Zug verlassen dürfe.
    Es begann bereits zu dämmern, als Sirenengeheul ertönte. Drei Polizeiwagen mit Blaulicht näherten sich, eine riesige Staubwolke hinter sich lassend, querfeldein dem Zug. Die aufgewirbelte Erde gab schließlich ein Dutzend Polizeibeamte frei, die sich fluchend den unwegsamen Abhang hinaufkämpften. Alexandra beobachtete, wie ein junger Beamter seitlich des Zuges auf die Knie ging und mit einer Taschenlampe unter den Waggon leuchtete, ein weiterer wandte sich jäh ab, rannte ein paar Schritte und übergab sich in die Böschung. Sie verdrängte die Bilder, die ihrer Phantasie entsprangen, und versuchte sich abzulenken.
    Der Abschied von Nina, ihrer Galeristin und besten Freundin, lag nur fünf Stunden zurück, aber sie vermisste sie schon jetzt. Bei einem ausgedehnten Frühstück auf Getränkekisten, mit heißem Kaffee und Croissants, hatten sie so lange in Erinnerungen geschwelgt, bis Alexandra ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte und ihr Vorhaben, aus Frankfurt am Main wegzuziehen, komplett in Frage stellte. Auch der Umstand, dass sie in einer gekündigten Wohnung saß und der Umzugswagen schon am Vortag in Richtung Brandenburg losgefahren war, konnte sie nicht davon abhalten, alles noch einmal gründlich in Zweifel zu ziehen. War es denn wirklich notwendig, die Stadt zu verlassen, nur weil Marcel eine Nacht mit einer anderen verbracht hatte?
    Um sich dem Gefühl, einen Fehler begangen zu haben, nicht ganz hinzugeben, hatte sie an Ort und Stelle begonnen, eine Liste mit den negativen
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