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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm
Autoren: David Sedaris
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Haus vorbei, doch nie hält eins an, außer es handelt sich um Anwohner Außerdem war es spät, drei Uhr früh. Das Ehepaar von gegenüber ist um neun im Bett, und soweit ich das mitbekomme, geht bei den Leuten von nebenan eine Stunde später das Licht aus. In unserem Dorf in der Normandie gibt es keine Straßenbeleuchtung, das heißt, wenn es dunkel ist, dann richtig. Und in einer stillen Nacht hört man jedes Geräusch.
    »Habe ich dir schon von dem Einbrecher erzählt, der im Kamin stecken geblieben ist?« Das war das große Ding im letzten Sommer. Einmal war es in dem hübschen Dorf am Fuße des Hügels, durch das ein Flüsschen geht, ein anderes Mal geschah es fünfzehn Meilen in der entgegengesetzten Richtung. Ich hörte die Geschichte von vier Leuten, und jedes Mal geschah sie woanders.
    »Also, dieser Einbrecher«, sagten die Leute. »Er zerrte an Türen und Fenstern, und als die nicht nachgaben, stieg er aufs Dach.«
    Immer war es ein Ferienhaus, ein Cottage, das Engländern gehörte, an deren Namen sich aber niemand erinnerte.
    Das Paar war Anfang September abgereist und hatte bei seiner R ückkehr neun Monate später einen Schuh im Kamin entdeckt. »Gehört der dir?«, fragte die Frau ihren Mann.
    Die beiden waren gerade erst angekommen. Die Betten mussten bezogen und die Schränke durchgelüftet werden, worüber der Schuh erst einmal in Vergessenheit geriet. Es war Anfang Juni, noch reichlich frisch, und abends entschloss sich der Mann, ein Feuer im Kamin zu machen.
    An diesem Punkt der Geschichte waren die Erzähler stets außer sich, mit leuchtenden Augen, wie vom Schein eines Lagerfeuers. »Und das soll ich dir im Ernst glauben?«, sagte ich. »Ich bitte dich.«
    Anfang des Sommers widmete die Lokalzeitung drei Spalten einem Camembert-Wettessen. Fotos zeigten die Teilnehmer mit hinter den Rücken gelegten Händen, die Gesichter tief in klebrigem Käse vergraben. Und das auf der Titelseite. In einer Gegend, die so arm an Nachrichten ist, würde ein Todesfall durch Verhungern schätzungsweise sechs Jahre lang die Schlagzeilen füllen.
    »Warte nur«, bekomme ich zu hören. »Es kommt noch besser!«
    Als immer mehr Rauch das Zimmer verqualmte, stieß der Mann einen Besen in den Kaminschacht. Irgendwas steckte im Abzug, und nachdem er wieder und wieder danach gestoßen hatte, löste sich der mittlerweile zum Skelett eingefallene Einbrecher und landete mit den Füßen voraus im Feuer. An dieser Stelle gab es immer eine Pause, die den Übergang zwischen der eigentlichen Geschichte und den sich anschließenden praktischen Fragen markierte, durch die sich das Ganze zuletzt in Luft auflöste. »Und wer war der Einbrecher?«, fragte ich. »Hat man den Leichnam identifiziert?«
    Einmal war es ein Zigeuner, einmal ein Landstreicher und in den anderen zwei Versionen ein Araber. Keiner konnte sich genau erinnern, wo er herkam. »Aber es ist tatsächlich so gewesen«, sagten sie. »Du kannst jeden fragen«, womit sie den Nachbarn meinten, von dem sie die Geschichte hatten, oder die Person, der sie sie fünf Minuten zuvor erzählt hatten.
    Ich glaubte keine Sekunde daran, dass ein Einbrecher in einem Kamin verhungert war. Ich glaube auch nicht daran, dass sein Skelett auf den Kaminrost knallte. Aber ich glaube an Gespenster, besonders, wenn Hugh nicht da ist und ich ganz allein auf dem Land bin. W ährend des Kriegs war unser Haus von den Nazis besetzt. Der frühere Eigentümer starb in seinem Schlafzimmer, genau wie der Besitzer davor, aber es sind nicht deren Geister, die mich beunruhigen. Ich weiß, es klingt dumm, aber tatsächlich fürchte ich mich vor Zombies, ehemaligen Dorfbewohnern, die mit eiterbe fleckten Nachthemden umherirren. Der Friedhof liegt eine Viertelmeile von hier, und würden die dort Ruhenden aus dem Tor drängen und sich links halten, wäre unser Haus gleich das dritte am Weg. Wenn ich bei voller Festbeleuchtung im Bett liege, schmiede ich Fluchtpläne für den Fall, sollten sie wirklich einmal vor der Tür stehen. Der Dachboden scheint mir ein kluges Versteck, doch müsste ich dazu die Tür verbarrikadieren, wozu man nicht die Zeit hat, wenn Zombies im ganzen Haus zu den Fenstern einsteigen. Früher lag ich stundenlang im Bett wach, doch wenn Hugh jetzt über Nacht fort ist, bleibe ich einfach auf und beschäftige mich mit irgendwelchen Dingen: Briefe schreiben, den Backofen reinigen, fehlende Knöpfe annähen. Nur Wäschewaschen geht nicht, weil die Maschine zu viel Lärm macht und andere,
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