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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm
Autoren: David Sedaris
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ich. »Hüah! Hü-ah!« Mein Vater stößt diesen Schrei aus, wenn er in seinen Werkzeugschuppen geht, oder Cowboys beim Zusammentreiben der Kälber, und er signalisiert ein gewisses Maß an Autorität. Schlangen, Fledermäuse, Wiesel – höchste Zeit für euch, alles stehen und liegen zu lassen und zu verschwinden. Ich näherte mich dem Keller mit einer Taschenlampe in jeder Hand, die ich wie Pistolen in Anschlag hielt. Dann trat ich die Tür auf – »Hüah! Hüah! –, schnappte mir, wonach ich suchte, und rannte los. In weniger als einer Minute war ich wieder auf der Veranda, doch dauerte es noch eine ganze Weile, bis meine Hände aufhörten zu zittern.
    Das Problem, ein Tier zu ertr änken – selbst ein schwer angeschlagenes –, besteht darin, dass es nicht kooperieren will. Diese Maus hatte nicht mehr viel zu erwarten, kämpfte aber dennoch mit schier unglaublichen Reserven um ihr Leben. Ich versuchte sie mit einem Besenstiel unter Wasser zu drü cken, aber es war nicht das richtige Instrument, und die Maus kämpfte sich immer wieder frei und kam an die Oberfläche geschwommen. Ein Tier mit einem solchen Überlebenswillen möchte man eigentlich ziehen lassen, dabei dachte ich nur an sein Wohl, ob es dies nun einsehen konnte oder nicht. Ich hatte es gerade geschafft, die Maus am Schwanz auf dem Eimerboden zu fixieren, als der Kombi angefahren kam und vor dem Haus hielt. Ich sage »Kombi«, dabei war es eher schon ein Kleinbus mit Seitenfenstern und drei Sitzreihen. Das Fernlicht war eingeschaltet, und die Straße glänzte schwarz und makellos im Licht der Scheinwerfer.
    Nach einem kurzen Moment ging das Fenster auf der Fahrerseite herun ter, und ein Mann streckte seinen Kopf in den Lichtschein, der von der Ve randa fiel. »Bonsoir«, rief er. Es klang wie der Ruf eines Schiffbrüchigen, der im Rettungsboot sitzt und einem vorbeifahrenden Schiff »Ahoi!« zu brüllt, und ich hatte den Eindruck, er war überaus glücklich, mich zu sehen. Als er die Tür öffnete, ging die Innenbeleuchtung an, und ich erkannte fünf weitere Personen im hinteren Teil des Wagens, zwei Männer und drei Frauen, die mich alle mit dem gleichen Ausdruck der Erleichterung ansa hen. Es waren alles ältere Leute, vermutlich in den Sechzigern oder Anfang der Siebziger, und alle hatten weiße Haare.
    Der Fahrer beschäftigte sich mit einem kleinen Buch, das er in seiner Hand hielt. Dann sah er kurz zu mir herüber und versuchte den gerade gelesenen Satz noch einmal laut zu wiederholen. Es war Französisch, nur konn te man ihn kaum verstehen, da er einfach nur die Laute nachmachte, ohne jedes Gespür für die Betonungen.
    »Sprechen Sie Englisch?«, fragte ich.
    Der Mann klatschte in die Hände und drehte sich nach hinten zu seinen Mitreisenden. »Er spricht Englisch!« Die Neuigkeit wurde mit großer Freude aufgenommen und für eine der Frauen übersetzt, die offenbar seine Bedeutung nicht verstand. Inzwischen war meine Maus wieder an die Oberfläche getrieben und schabte mit ihrer noch heilen Pfote gegen die Eimerwand.
    »Wir suchen nach einer bestimmten Adresse«, sagte der Fahrer. »Ein Haus, das wir mit Freunden gemietet haben.« Er redete laut und mit einem leichten Akzent. Holländer, dachte ich, oder Skandinavier.
    Ich fragte, in welchem Dorf das Haus sei, und er sagte, es sei kein Dorf, nur ein kleiner Veiler.
    »Ein was?«
    »Ein Veiler«, wiederholte er.
    Entweder hatte er einen Sprachfehler, oder der Buchstabe w existierte nicht in seiner Muttersprache. Wie auch immer, ich wollte, dass er es noch einmal sagte.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Aber ich habe Sie nicht genau verstanden.«
    »Ein Veiler«, sagte er. »Freunde von uns haben ein Haus in einem kleinen Veiler gemietet, und wir können ihn einfach nicht finden. Wir sollten schon seit Stunden da sein, aber jetzt haben wir völlig die Orientierung ver loren. Kennen Sie sich in der Umgebung aus?«
    Ich bejahte, musste aber passen, als er mir den Namen der Ortschaft nannte. Es gibt unz ählige kleine Weiler in unserem Teil der Normandie, oft kaum mehr als eine Hand voll Steinhäuser, die irgendwo im Wald verborgen sind oder am Ende eines Schotterwegs liegen. Hugh hätte den Ort vielleicht gekannt, aber weil ich selbst nicht fahre, achte ich meist nicht so ge nau auf die Ortsnamen. »Ich habe eine Wegbeschreibung«, sagte der Mann. »Möchten Sie vielleicht einen Blick darauf werfen?«
    Er stieg aus dem Kombi, und ich sah, dass er einen weißen Trainingsanzug aus Nylon trug,
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