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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm
Autoren: David Sedaris
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Babys werden damit geboren, aber für die Mütter ist es einfacher, wenn ihr Kopf glatt wie eine Salatschüssel ist.« Er fuchtelte mit den Händen vor den geschlossenen Augen seiner Tochter. »Ich muss immer an die Mütter denken.
    Könnt ihr euch vorstellen, wie das ist, so ein pelziges Teil im Bauch zu haben?«
    »Also, Haare und Pelz ist schon ein Unterschied«, sagte mein Vater. »Bei einem Waschbär im Bauch, okay, da gebe ich dir Recht, aber ein paar Härchen haben noch niemandem wehgetan.«
    Paul schüttelte sich, und ich erzählte ihm von einer Dokumentation, die ich kürzlich gesehen hatte, über einen Jungen, der von seinem mit ihm verwachsenen Zwilling getrennt worden war. Der Zwilling hatte viele Jahre in ihm gelebt, ein kleiner Schmarotzer ohne eigenes Herz oder Gehirn. »So weit schön und gut«, flüsterte ich, »nur hatte er ganz lange Haare.«
    »Wie lang?«, fragte Paul.
    Tatsächlich hatte ich die Sendung gar nicht gesehen, sondern nur davon gelesen. »Sehr lang«, sagte ich. »Ungefähr neunzig Zentimeter.«
    »Das ist ja, als hättest du eine verdammte Willie-Nelson-Puppe in dir drin«, sagte Paul.
    »Alles Mumpitz«, sagte mein Vater.
    »Nein, wirklich. Ich hab’s gesehen.«
    »Einen Teufel hast du.«
    Das Baby hob eine Faust an den Mund, und Paul senkte seinen Kopf in das Bettchen. »Das sind nur dein schwuler Onkel und dein vertrottelter Opa, die ihren üblichen Schwachsinn verzapfen«, sagte er. Und es klang ganz und gar ... beruhigend.
    Nachdem mein Vater gegangen war, wärmte Paul ein Fläschchen mit Säuglingsnahrung auf. Das Baby wachte auf, und Kathy legte es aufs Sofa, wo wir vier uns Videos aus dem Krankenhaus anschauten. Den Kaiserschnitt selbst hatte mein Bruder nicht gefilmt, was ich mir damit erklärte, dass es aus rechtlichen oder hygienischen Gründen ausdrücklich untersagt war. Zwischen dem Eintreffen des Arztes und dem purpurroten Gesicht des Säuglings, der wie ein dringender Telefonanruf an seiner Nabelschnur hing und schrie, klaffte eine Lücke. Dafür zogen sich die Aufnahmen im Auf wachraum endlos hin, als wollte Paul die verlorenen sieben Minuten wieder gutmachen. Kathy trinkt aus einem Plastikbecher. Eine Schwester kommt herein, um den Verband zu wechseln. Viele Aufnahmen zeigten meine Schwägerin ganz nackt oder mit nacktem Oberkörper, aber falls es ihr unangenehm war, sich so auf einem Großbildschirm zu sehen, ließ sie sich nichts anmerken. Zwischendurch hielt sie die Kamera, und wir sahen Paul in Shorts und einem Werbe-T-Shirt, die Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf.
    Die beiden hatten das Video schon Dutzende Male gesehen, hockten aber immer noch ganz gebannt davor.
    »Das ist die Stelle, wo die Schwesternschülerin hereinkommt«, sagte Ka thy. Paul drehte den Ton ab und ergänzte lippensynchron den Text, als der Kopf der Frau in der Tür erschien.
    »Sieht so aus, als ob hier alle schlafen.«
    »Mach’s noch mal«, sagte Kathy.
    »Sieht so aus, als ob hier alle schlafen.«
    »Noch mal.«
    »Sieht so aus, als ob hier alle schlafen.«
    Später gab es noch Aufnahmen vom ersten Stuhlgang des Säuglings. Er sah aus wie Teer, und nachdem der letzte Tropfen heraus gesickert war, drückte Paul auf den Rücklauf und sah zu, wie der dunkle Fleck sich zusammenzog und zurück in seine Tochter floss. »Hast du gesehen, wie schwarz die Scheiße ist?«, fragte er. »Ich sage dir, unsere Kleine hat den Bogen raus.«
    Er hielt Madelyn vor den Fernsehschirm, und sie stieß einen kurzen, zweisilbigen Schrei aus, aus dem Paul »Yippie« heraushörte, obwohl er für mich eher wie »Hilfeee« klang.
    Wer nichts zu beweisen hat, schenkt praktische Dinge zur Geburt: Baumwollstrampler, die den Kreislauf von Spucken und Waschen gut über stehen. Wer aber um den Titel der beliebtesten Tante und des beliebtesten Onkels wetteifert, so wie meine Schwestern und ich, schickt Satinhöschen und feine, handgewebte Pullis, denen Zettel mit dem Hinweis beiliegen: »PS: Der Pelzkragen ist abnehmbar.« Das Baby wird in jedem neuen Outfit fotografiert, und fast täglich bekomme ich neue Bilder. Auf ihnen sehen mein Bruder und seine Frau nicht wie Eltern aus, sondern eher wie in den Wäldern hausende Kindesentführer, die heimlich für ihren Nachwuchs ein gewaltiges Kaschmirvermögen anhäufen.
    Fotokameras und Videokameras halten jeden Schritt Madelyns fest, der anschließend als »Babys erster ...« präsentiert wird, alles in doppelter Ausführung. Babys erster Besuch am Strand ebenso wie
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