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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben
Autoren: Aufbau
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Sonnenbrille zurecht, »Zielperson erfasst.«
    Mit zügigen Schritten überquerten wir die Straße und gingen auf den Kerl zu. Flavio schob sich das Headset ins Ohr und steckte das lose Kabelende in die Jacke. Als der Junge uns bemerkte, sah er sich hektisch um.
    »Kriminalpolizei, kommen Sie bitte mal mit, junger Mann«, sagte ich freundlich, aber bestimmt, und schob ihn in eine Ecke zwischen Bushaltestelle und Altkleidercontainer. Flavio und ich schnupperten. Der Bengel dünstete den Grasgeruch |20| regelrecht aus. Sein Blick wanderte unruhig zwischen uns hin und her.
    »Hauptkommissar Bauernfeind«, sagte ich. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie Drogen mit sich führen. Öffnen Sie bitte den Rucksack.«
    Die anderen Leute, die wir auf diese Weise abgezogen hatten, waren auch kleinlaut gewesen, aber derartig gezittert wie dieser Kerl hatte keiner von ihnen. Anstatt nach unseren Dienstmarken zu fragen, stotterte er: »Ich schreibe gleich eine Klassenarbeit.«
    Obwohl Flavio mit seinen lockigen Haaren, dem Dreitagebart und der Brille aussah, als sei er einem Siebzigerjahre-Gangsterfilm entstiegen, und ich meine abgewetzten Cowboystiefel trug, schien der Kerl nicht zu bezweifeln, dass wir Bullen waren.
    »Unser Einsatz ist mit der Schulleitung abgesprochen. Wenn Sie kooperativ sind, wird es keine Verzögerungen in Ihrem Tagesablauf geben. Ihren Ausweis bitte«, sagte ich, worauf er schwer atmend seinen Ausweis aus dem Portemonnaie fingerte. Flavio drückte sich mit Zeige- und Mittelfinger das Headset ans Ohr und holte das Funkgerät aus der Jacke.
    »Zentrale?«, sagte er, »Zielperson trägt einen schmutzigen Parka mit verdächtigen Aufnähern und schulterlange Dreadlocks. Wiederhole: Dreadlocks.«
    Dann zupfte er dem Jungen den Ausweis aus der Hand, als sei es die alles entscheidende Karte bei einem Quartett-Spiel, und tat anschließend so, als gebe er die Personalien durch, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
    »Die Drogen, bitte«, sagte ich.
    »Ich habe keine Drogen«, antwortete der Bengel und schielte hilfesuchend in Richtung Haltestelle zu seinen Freunden, die das Geschehen nur auf einige Meter Entfernung zu beobachten wagten. Flavio schüttelte demonstrativ gelangweilt den Kopf und sah beiseite.
    »Dann lassen Sie mich bitte kurz in den Rucksack schauen«, |21| forderte ich den Jungen auf. Aber er reagierte nicht, sondern starrte nur auf seine ausgelatschten Sneakers und knibbelte am Saum seines Parkas herum wie am Ohr eines Lieblingsteddys.
    »Bitte«, wiederholte ich.
    Schließlich nahm Flavio die Sonnenbrille ab, stemmte eine Hand in die Hüfte und deutete mit dem Zeigefinger der anderen, die Brille zwischen Daumen und Mittelfinger baumelnd, aus kurzer Distanz auf den Kerl.
    »Jetzt pass mal auf«, sagte er und trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich werde nicht dafür bezahlt, meine Zeit mit Verlierern wie dir zu verschwenden.«
    Der Junge blinzelte, als habe er Schlaf in den Augen. Flavio sah an ihm herunter. »Wir haben aus sicherer Quelle erfahren, dass du Drogen bei dir hast. Du solltest jetzt nicht den Fehler machen, dich mit uns anzulegen. Weißt du, was wir alles mit dir anstellen könnten? Wem würde man wohl glauben? Dem kleinen dreckigen Kiffer oder zwei hochdekorierten Beamten?«
    Ich hatte keine Ahnung, aus welchem Film das Gerede stammte, doch als Flavio
hochdekoriert
sagte, war ich sicher, dass der Bengel das Ganze durchschauen und einfach abhauen würde. Stattdessen flennte er los und nahm umständlich den Rucksack von seinen Schultern. Eine süßlich-harzige Wolke schlug uns entgegen, als er ihn öffnete.
    »Sie dürfen bitte meinen Eltern nichts davon sagen«, brabbelte er. »Ich mache das nur, um schneller das Geld für den Führerschein zusammenzubekommen. Das ist das erste Mal. Ich mache das auch nie wieder.«
    Nachdem er sich hingekniet hatte, zauberte er erst zwei Einkaufstüten voller Gras aus dem Rucksack und, als wäre das nicht genug, noch vier Tütchen mit Pillen. Als der Bengel uns einige Sekunden lang nicht beachtete, ballte Flavio eine Hand zur Faust, starrte mich an und riss stumm den Mund auf, als gebe er Kriegsgeheul von sich.
    |22| »Das ist konfisziert«, sagte ich, nahm dem Jungen das Zeug aus der Hand und packte alles wieder zusammen. Flavio drückte sich das Headset gegens Ohr und sabbelte ins Funkgerät: »Der Adler ist gelandet.«
    Ich spürte, dass es an der Zeit war abzuhauen, bevor er es wie üblich überreizen würde, setzte mir den Rucksack des
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