Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
ich habe keine Lust, dass der mir die Wohnung vollpinkelt. Du wolltest den haben.«
    Ich nickte.
    Nachdem ich Fred noch das Armband um den Hals gelegt hatte, baute ich mit der Decke ein Nest für ihn zwischen unseren Betten, sagte Ingrid gute Nacht und löschte das Licht.
     
    Irgendwann schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Als ich die Augen öffnete, brannte das Licht in unserem Zimmer, und aus dem Fernseher plärrten Stimmen. Im Türrahmen lehnte Franz mit einer Flasche Bier in der Hand, beschimpfte Mutter und brüllte, es gebe keine neue Wohnung und schon gar kein Haus. Aus dem Wohnzimmer keifte Mutter. Franz bölkte zurück, worauf ein voller Aschenbecher neben ihm gegen die Wand donnerte. Für eine Schrecksekunde erstarrte Franz in der Aschewolke, schmiss schließlich seine Bierflasche auf den Boden und kam schnaufend in unser Zimmer gestampft. Mutter schrie, und Ingrid machte sich klein in der Ecke ihres Bettes. Ich setzte mich auf. Mit wutverzerrtem Gesicht blieb Franz vor Freds Nest stehen und sah mich an. Dann trat er fünf, sechs Mal mit dem Hacken seiner klobigen Schuhe |15| auf den Hund ein. Das Knacken und Splittern der Knochen machte mir eine Gänsehaut.
    Ingrid kreischte. Für einen Augenblick schien es, als sei kein Mensch mehr in ihrem Gesicht. Mutter stürzte ins Zimmer, und innerhalb von Sekundenbruchteilen wechselte ihre Mimik. Erst der Schreck in ihren Augen, als sie in den Raum kam, die Erleichterung, als sie sah, dass Franz uns nicht angefasst hatte, und schließlich das Entsetzen, als er beiseitetrat und ihr Blick auf den Hund fiel. Fred lag mit verdrehten Gliedmaßen und eingetretenem Schädel da, die Augen waren herausgequollen.
    Ingrids Schreien wurde zu einem atemlosen Weinen, als Mutter weiter Franz ankeifte. Im Wohnzimmer rumorte der Fernseher. Ich saß in meinem Bett und sah Franz an. Der brüllte, wir sollten alle Ruhe geben, schrie Mutter an, schrie Ingrid an, die nicht aufhören konnte zu heulen, warf einen Blick auf das tote Tier, wischte sich durchs Gesicht und zog die Nase hoch. Schließlich bemerkte er mich, wie ich regungslos in meinem Bett saß und ihn anstarrte.
    »Was?!«, blaffte er mich an. Im nächsten Moment raste seine stinkende Hand auf mich zu, traf mich an der Schläfe, und ich donnerte mit dem Kopf gegen die Wand.
     
    Als ich wieder ganz bei mir war, dröhnte mein Schädel, und Franz war verschwunden. Mutter hatte die Decke um den Hund geschlagen, so dass man den Kadaver nicht sehen konnte, und Ingrid lag zitternd in ihren Armen.
    »Schon okay«, flüsterte Mutter, »ist schon okay, Kleine.«
    Nachdem wir uns beruhigt hatten, schickte sie mich im Schlafanzug runter in den Hof, um den Hund in die Mülltonne zu werfen. Ein paar Tage später bemerkte Mutter, dass ich auch die Decke weggeworfen hatte, und ich bekam sechs Murmeln in mein Glas.

|16| Mai 2000
    »Nimm mal«, sagte ich und reichte Flavio die Verteilersteckdose raus. Ich stieg auf den Spülkasten meiner Toilette, zwängte mich durch das kleine Fenster und kletterte zu ihm auf den abgeflachten Teil des Dachs. Es waren nur wenige Quadratmeter, aber an guten Tagen fühlte es sich an wie das Sonnendeck eines Luxusliners. Der Ausblick auf hoher See änderte sich genauso wenig wie hier, und man hatte Horizont, so weit das Auge reichte.
    Es war ein Vormittag im Mai, aber die Sonne brannte vom Himmel, als sei bereits Hochsommer. Ich schloss einen Ventilator und einen Tischgrill, den Flavio mitgebracht hatte, an.
    »Steak oder Wurst?«, fragte Flavio.
    »Steak.«
    Obwohl ich noch einen Kater vom vorherigen Abend hatte, war ich nicht in der Lage gewesen, Flavio wegzuschicken, als er mich wachgeklingelt hatte. Während er sich am Grill zu schaffen machte, fläzte ich mich auf eine Bastmatte, öffnete ein Bier und blickte über die Dächer.
    In der Ferne drehten sich zwei leuchtend gelbe Kräne, und die Satellitenschüsseln an den Häuserwänden waren reife Pickel auf dem Gesicht des Viertels. Der Lärm der Straße drang zu uns herauf, hupende Autos, ratternde Presslufthämmer und das übliche Rumgebölke auf dem Kiez. Um uns herum, auf den Ziegeln und Antennen, gurrte ein Taubenschwarm wie eine unruhige Schulklasse, und ab und an knarrte eine Krähe, die sich dazugemogelt hatte, wie ein schimpfender Pauker dazwischen.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb mein Blick |17| an einer Frau Mitte zwanzig hängen, die in einem giftgrünen T-Shirt, das ihr bis über die Oberschenkel hing, auf einem Balkon stand und an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher