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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben
Autoren: Aufbau
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musste ich lächeln. Ich griff ihn vorsichtig unter dem Bauch und hob ihn in die Höhle. Wir nannten ihn »Fred«, nach einem Hund aus einem Film, den ich einige Wochen zuvor im Fernsehen gesehen hatte.
     
    |12| Wir spielten mit Fred, und es wurde später und später, ohne dass Mutter uns ins Bett schickte. Schließlich kuschelte Ingrid sich gähnend an mich, schob ihre Hand unter meine und klopfte gegen meine Handfläche: Ich sollte ihre Finger massieren. Irgendwie beruhigte sie das immer.
    »Holst du ein Halsband für Fred?«, fragte sie. »Aus der Schatzkiste?«
    Unsere Schatzkiste war eine Zigarrenkiste, in der wir Schlüsselanhänger und Plastikschmuck, Gummispinnen und Flummis versteckten. Lauter Zeug, das ich mir unter den Nagel gerissen hatte, als ich mit ein paar größeren Jungs einen Kaugummi-Automaten geknackt hatte. Nachdem die anderen die Totenköpfe und Spielzeugtaschenmesser unter sich aufgeteilt hatten, hatte ich das restliche Zeug für Ingrid mitgenommen. Damit Mutter die Sachen nicht zu sehen bekam, versteckten wir die Schatzkiste auf unserem Etagenklo, hinter einer lockeren Kachel der Badewanne.
    »Bitte«, sagte Ingrid. Um zum Klo zu kommen, musste ich durchs Wohnzimmer, wo Mutter mit Franz am Trinken war. Obwohl ich befürchtete, dass die beiden genervt sein würden, setzte ich mich in Bewegung, als Ingrid mich anblinzelte und an ihrer Unterlippe knabberte.
    Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer und lugte vorsichtig hinein. Mutter lächelte, und ihre Augen glänzten wie feuchte Steinchen. »Na, Süßer? Spielt ihr noch?«, fragte sie und zog angestrengt die Nase hoch.
    »Nenn den doch nicht Süßer«, maulte Franz. »Was soll denn aus dem für einer werden?«
    Mutter zwinkerte mir zu und sagte: »Ach, klar ist der süß.«
    Zigarettenqualm stand in der Luft, und auf dem Tisch lagen mehrere Geldbündel.
    »Was hast du vor?«, wollte Mutter wissen.
    »Auf Toilette gehen.«
    Sie warf Franz einen fragenden Blick zu. »Wollen wir es ihm sagen?«
    |13| »Mach doch.«
    »Süßer, wir ziehen vielleicht bald um. In eine richtig schöne große Wohnung.«
    »Quatsch«, sagte Franz. »In ein Haus. Wenn schon, denn schon.«
    »Dann hast du dein eigenes Zimmer. Wir bauen ein Haus!«
    Ich musste daran denken, wie lange sie schon davon sprach, die Küche zu streichen.
    »Da bist du platt, was?«, fragte Franz, aber ich verschwand wortlos ins Treppenhaus.
    Einen Moment lang blieb ich auf dem Toilettendeckel sitzen und hörte dem tropfenden Wasserhahn zu, an dem sich im Laufe der Zeit ein kleiner Kalkstalaktit gebildet hatte. Im Hinterhof wurde klappernd ein Fahrrad abgestellt, und durch das geöffnete Milchglasfenster war das Rascheln des Efeus im Wind zu hören, der kühl hereinwehte. An der unbeschirmten Glühbirne klebte ein Langbein. Dann hockte ich mich auf den Boden, löste mit einem leisen Knirschen die Kachel von der Verkleidung der Wanne und langte in den Hohlraum nach der Schatzkiste. Ich fischte ein Armband aus rosa Plastikperlen heraus und steckte es in meine Hosentasche.
    Im Treppenhaus lief ich Frau Marquard über den Weg, die mit ihrem Mann im Erdgeschoss unter uns lebte. Frau Marquard hatte einen Schlüssel zu unserer Wohnung, um nach dem Rechten schauen zu können, wenn Mutter nachts arbeitete oder unterwegs war. Dass sie sich in Mutters Angelegenheiten eingemischt hätte, habe ich nicht mitbekommen, aber wenn sie bei uns war, war alles an ihr ein einziges besorgtes Kopfschütteln.
    »Alles gut bei euch, Richard? Hat deine Mutter Besuch?«, wollte sie wissen, lauschte, und prompt war Franz’ Lachen zu hören. »Grüß sie mal. Und sag ihr, dass sie heute nicht wieder so lange machen sollen, ja?«
    Ich nickte.
    Als ich zurück in der Wohnung war, sah ich durch den |14| Perlenvorhang, wie Mutter mit verschränkten Armen auf dem Sofa saß. Franz hatte seinen Arm um sie gelegt und zog sie zu sich heran, aber sie wandte sich ab. Licht fiel aus dem Wohnzimmer in die unbeleuchtete Küche, und ich trippelte über den Schatten des Vorhangs, als könne ich ihn dabei versehentlich zum Klimpern bringen.
    »Das kann nicht schiefgehen«, hörte ich Franz murmeln.
    »Das Geld reicht doch erst mal«, sagte Mutter.
    »Der Typ, den ich kennengelernt habe, ist eine richtig große Nummer, wenn ich mit dem …« Franz hatte mich hinter dem Vorhang bemerkt und unterbrach sich. »Der Kleine«, sagte er.
    »Ab ins Bett jetzt, Richard. Hier«, damit warf mir Mutter eine Decke zu. »Darauf kann der Hund schlafen. Und
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