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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger
Autoren: J. T. Geissinger
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Stimme sehr dunkel. »Und ihr Verrat hätte dich beinahe das Leben gekostet. Was hätte ich denn anderes tun sollen?«
    »Ich habe viel darüber nachgedacht«, erklärte sie ruhig und blickte zu ihm auf. »Und um ganz ehrlich zu sein … Ich weiß es auch nicht.« Ihre Augen waren so klar, dass sie in dem Licht beinahe farblos wirkten. Er konnte ihren Ausdruck nicht deuten. »Aber ich habe etwas versprochen, und dieses Versprechen muss ich halten. Irgendwie.«
    Sie brach ab, und er sah sie stirnrunzelnd und abwartend an. Doch sie fügte nichts hinzu, sondern sah ihn nur ausdruckslos an.
    Sie musterte sein Gesicht und dann wanderte ihr Blick zu seiner Brust, wo sich unter dem offenen Kragen seines Hemds eine weiße Bandage zeigte.
    »Du bist verletzt«, murmelte sie.
    Er bedachte sie mit einem trockenen Lächeln. »Ich werde es überleben. Tut mir leid. Es ging nicht sehr tief, nicht im Vergleich …« Sein Lächeln verschwand. Stattdessen begannen seine Kiefermuskeln zu zucken, und er wandte den Blick von ihr ab auf die Blütenblätter, die er in seiner Faust zerrieben hatte. Langsam ließ er sie auf den Boden rieseln.
    »Wie geht es Daria?«, fragte sie nach einer Weile leise. »Christian hat mir gesagt, dass sie sich besser erholt als erwartet. Viel besser. Aber …« Sie schluckte und senkte den Blick, ehe sie ihre Beine fester an ihren Körper zog. »Sie sah so schrecklich aus. Ich dachte, dass er mich vielleicht aufmuntern will, indem er die Tatsachen ein wenig beschönigt.«
    Leander sah sie an. Sie hatte ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne gezogen und schaukelte sehr langsam auf dem Schaukelstuhl vor und zurück.
    »Noch ist es zu früh für Spekulationen. Der Arzt hat gemeint, dass höchstwahrscheinlich etwas zurückbleiben wird. Außerdem«, fügte er schärfer als beabsichtigt hinzu, »wird sie auf jeden Fall viele Narben behalten.«
    Jenna legte eine blasse Hand auf ihre Augen. »Mein Gott, wenn ich doch nur früher da gewesen wäre«, flüsterte sie. »Ich habe so lange gebraucht, um sie zu finden. Beinahe den ganzen Tag. Wenn ich schneller gewesen wäre …« Bebend holte sie Luft und schüttelte den Kopf. Sie kniff die Augen zu. Tränen sammelten sich unter ihren Wimpern. Mit den Fingern wischte sie diese hastig fort.
    »Jenna«, sagte Leander mit rauer Stimme. »Es ist nicht deine Schuld. Wenn du sie nicht gefunden hättest, wenn du nicht nach ihr gesucht hättest, wäre sie jetzt tot. Was du getan hast, das ist …«
    Ihm fehlten die Worte.
    Als er sie nun so wunderschön, fragil und sichtbar niedergeschlagen sah und wie das Licht der untergehenden Sonne ihr Gesicht wie ein zärtlicher Liebhaber berührte, versetzte ihm das erneut einen schmerzhaften Stich. In seinem Inneren begann ein Feuer zu lodern, das ihm fast den Atem raubte. Er versuchte, Luft zu holen, versuchte, nicht die Nerven zu verlieren, doch das schien ihm auf einmal kaum mehr möglich zu sein.
    Wie viel Zeit blieb ihm übrig? Wie viele Tage oder Stunden oder Minuten, bis sie ihn mit einem riesigen Loch in der Brust an der Stelle, wo sein Herz gewesen war, zurückließ?
    Die Vorstellung, ohne sie zu leben, brannte sich wie Säure in ihn.
    »Also …« Sie holte tief Luft, sammelte sich und setzte sich aufrecht in ihrem Schaukelstuhl hin, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet. Dann betrachtete sie ihre Finger und fragte mit einer leisen, kleinen Stimme: »Wann gedenkst du es zu tun?«
    Die Hoffnungslosigkeit, die in ihrem Ton lag, brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er runzelte die Stirn.
    »Was?«
    Sie warf ihm einen düsteren, resignierten Blick zu. »Mich einsperren.«
    Er starrte sie entsetzt an.
    »Mit Morgan«, erklärte sie, als er nicht antwortete.
    »Mit wem? Warum? Was?«, stotterte er.
    Sie winkte mit einer blassen Hand ab, wobei ihre Geste schwach und erschöpft wirkte. »Du musst nicht so tun, als ob du nicht wüsstest, wovon ich spreche, Leander.« Sie seufzte. »Ich weiß, du glaubst, dass ich Morgan geholfen habe. Du hast mich dessen vor dem Rat bezichtigt. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Außerdem bin ich erneut weggelaufen und habe das Gesetz gebrochen. Ebenfalls zum wiederholten Mal. Das ist doch deine Aufgabe, nicht wahr? Sicherzustellen, dass das Gesetz eingehalten wird, um die Kolonie zu beschützen.« Sie starrte ihn an. Ihr Blick wirkte grimmig, aber entschlossen. »Den Feind zu bestrafen.«
    »Jenna«, sagte Leander betroffen. In seinen Augen spiegelte sich der Schock wider. Sein Gesicht war
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