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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger
Autoren: Ilse Maria Dries
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Arbeiten, wann immer es ihm möglich war. Im Sommer etwa hatte er den Ziegenstall neu verputzt und gestrichen.
    Als er eintraf, drückte ihm seine Mutter einen dicken Kuss auf die Wange. Sie war überaus stolz auf ihren erfolgreichen, tüchtigen Sohn. „Komm herein, mein Junge, so eine Freude. Dein Vater und ich sitzen in der Küche und schauen Fotoalben von unseren Urlaubsreisen an.“
    Er begrüßte seinen Vater herzlich, setzte sich an den Küchentisch, und spähte in das Album. Ludwig und Annemarie Förster hatten es durch fleißiges Sparen jedes Jahr geschafft, mit ihren beiden Kindern in den Sommerferien ans Meer zu fahren. Ihr bevorzugtes Ziel war Bibione an der italienischen Adria.
    Seine Mutter zeigte auf eine sandige Parzelle, auf der sie gemeinsam ein Steilwandzelt für die Eltern und einen kleinen, spitzwinkligen Unterschlupf für die Kinder aufgebaut hatten. Am starken, waagrechten Ast einer Pinie hatte der Vater die Seile einer selbstgebauten Schaukel verknotet, auf der sich ein vierjähriger Gerd Förster mit strohblonden Locken und einem übermütigen Jauchzen auf dem spitzbübischen Gesicht in den azurblauen Himmel schwang.
    Seine Mutter geriet ins Erzählen. Jeden Tag hatte ihr Sohn von ihr hundert Lire bekommen. Für ein Eis. Immer wollte er allein zum Eisstand laufen, um sich eine Eiswaffel zu kaufen, weil er schon ein großer Junge war. Aus Sorge war sie ihm immer heimlich und unauffällig gefolgt.
    Und er war eitel. Er hatte stets darauf bestanden, am Abend, wenn die Familie die langgestreckte Promenade entlangflanierte, um den Sonnenuntergang zu bewundern, zu seiner Sommerhose ein weißes Hemd zu tragen.
    Sein Vater wusste amüsiert eine andere Geschichte aus diesem Urlaub zum Besten zu geben: Als sie nach der langen Fahrt endlich den Campingplatz erreicht hatten, riss sich sein Sohn beim Anblick des in der Sonne glitzernden, ruhigen Meeres die Kleider vom Leib und stürmte, so schnell er nur konnte, in das flache Wasser. Auf einmal aber stoppte er seinen Lauf, stieß einen durchdringenden Schrei aus und rannte an das Ufer zurück, als ob das Seeungeheuer von Loch Ness ihm auf den Fersen wäre.
    Gerd Förster konnte sich noch gut erinnern: „Der rote Monsterkrebs!“
    Sein Vater lachte: „Genau, der Monsterkrebs. Kilometerweit war kein einziger Krebs zu sehen. Nur der eine lauerte genau da, wo du hinranntest.“
    Seine Mütter fügte hinzu: „Ulrike musste das Meerestier mit ihrer Sandschaufel in ihr Eimerchen verfrachten und an anderer Stelle wieder aussetzen. Sonst wärst du nicht mehr ins Wasser gegangen.“
     
    Als er später seine liebe Mutter zum Abschied drückte, nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte: „Was ist mit Laura, Gerd? Seid ihr nicht mehr zusammen? Ihr wolltet doch heiraten.“
    „Ich glaube, Laura bleibt lieber in Berlin, Mama. Diese Entscheidung muss ich akzeptieren.“
    „Lass doch den Jungen in Ruhe“, mischte sich sein Vater ein. „Der weiß schon, was er tut.“
    „Hättest du doch die Sigrid vom Nachbarhof geheiratet, sie war unsterblich in dich verliebt“, beharrte seine Mutter und drückte ihm ein Glas selbst gemachte Waldhimbeermarmelade in die Hand.
    „Annemarie, die Sigrid hat inzwischen vier Kinder und wiegt mindestens drei Zentner.“
     

Dienstag, 17. September
     
    Die Kommissare aus Bamberg, Mandy Bergmann und Gerd Förster, fuhren am Morgen mit ihrem Dienstwagen in das kleine Dorf, in dem Kati Simmerlein bei ihren Eltern gewohnt hatte, bevor sie diesem grausamen Verbrechen zum Opfer fiel.
    Sie beabsichtigten, Marga und Alfons Simmerlein zu befragen und das Zimmer ihrer Tochter in Augenschein zu nehmen, um erste Hinweise zu finden.
    Sie waren an hügeligem Ackerland und an dichten, sattgrünen Laub- und Nadelwäldern vorbeigefahren und näherten sich nun ihrem Ziel.
    „Die Eltern von Kati Simmerlein waren gestern nach der Identifizierung ihrer toten Tochter nicht ansprechbar“, bemerkte Mandy. „Das wird eine sehr schwierige Befragung.“
    „Sicherlich“, antwortete ihr Kollege zustimmend. „Aber wir müssen sie befragen. Viele Eindrücke und Erinnerungen verwischen im Laufe der Zeit. Vielleicht können sie jetzt noch etwas zur Verbrechensaufklärung beitragen.“
    Gerd Förster passierte mit dem weißen Audi zwei wuchtige, alte Steinpfosten, die den breiten Eingang zum gepflasterten Hof der Familie Simmerlein säumten. Linkerhand befand sich das einstöckige, gepflegte Fachwerkhaus, das teilweise durch einen mächtigen Kastanienbaum
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