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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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kurz oder lang gegen die geballte Nacht anrennen würde wie gegen eine Mauer. Jetzt gewahrte er geradeaus ein unmerkliches Aufleuchten in der Höhe des Horizonts, wie Schein von einem Schmiedefeuer. Er tippte Fabien auf die Schulter, aber der rührte sich nicht.
    Die ersten Ausläufer des fernen Gewitters ergriffen das Flugzeug an. Sacht emporgehoben, drängten die Metallmassen gegen den Körper des Funkers an, schienen dann zu schwinden, zu schmelzen, so daß er sekundenlang das Gefühl hatte, als schwebte er allein in der Luft, und sich mit beiden Händen an die Stahlspanten klammerte.
    Nichts war mehr zu sehen von aller Welt als der rote Lichtschein da vorn, und Schauer überliefen ihn bei der Vorstellung, hier hinabtauchen zu müssen in den Schacht der Finsternis, hilflos, nur im Schutz dieser winzigen Grubenlampe. Er wagte nicht, den Piloten zu stören mit Fragen, was er zu tun gedächte, und hielt nur immer, die Hände um den Stahl krampfend, vornübergebeugt, den Blick auf die dunklen Schultern vor ihm gerichtet. 
    Ein Kopf und zwei unbewegliche Schultern waren das einzige, das sich gegen den schwachen Lichtschein abhob. Nur eine dunkle Masse, ein wenig nach links geneigt. Das Gesicht dem Gewitter zugewandt, sicherlich von jedem Aufleuchten gebadet. Aber er konnte nichts sehen von diesem Gesicht. Alles, was sich darin dem Sturm entgegenspannte: Trotz, Entschlossenheit, Zorn - alles, was sich in stummer Zwiesprache abspielte zwischen diesem bleichen Gesicht und dem zuckenden Leuchten da vorn, blieb ihm unsichtbar. 
    Dennoch empfand er dunkel die gesammelte Kraft in der Unbeweglichkeit dieses Schattens und liebte sie. Sie trug ihn dem Unwetter zu, aber sie schützte ihn auch. Ja: diese Hände, um das Steuer geschlossen, griffen dem Sturm nun schon in den Nacken, wie einem Tier, und in diesen regungslosen Schultern spürte man die aufgesparte Energie.
    Schließlich, dachte er, ist der Pilot verantwortlich, und gab sich, da er nun doch einmal mit hinten aufsaß bei diesem wilden Ritt gegen die Feuersbrunst, ganz dem Gefühl der Wucht und Verläßlichkeit hin, das von dieser Schattengestalt ausging. Linker Hand, schwach wie Widerschein eines Leuchtturms, glomm ein neuer Feuerherd auf.
    Der Funker wollte schon die Hand heben, um dem Piloten auf die Schulter zu tippen, ihn aufmerksam zu machen; aber da sah er, wie Fabien langsam den Kopf drehte, das Gesicht ein paar Sekunden lang dem neuen Feind zugekehrt hielt und dann, langsam, wieder seine vorige Stellung einnahm. Die Schultern regungslos, den Nacken gegen das Leder gelehnt.
VIII
    Riviere war ins Freie gegangen, um sich etwas Bewegung zu machen und das Unwohlsein zu vertreiben, das ihn wieder beschlich. Er, der immer nur der Aktivität gelebt hatte, einer dramatisch gespannten Aktivität, ohne seiner eigenen Person zu achten, wurde das wunderliche Gefühl nicht los, als wechselte die Szene jetzt in sein Ich hinüber. Die Kleinbürger, die ihr scheinbar so friedliches Dasein um ihren Musikpavillon spazierenführten - war nicht auch ihr Leben manchmal schwer von Ereignissen, von heimlichen Dramen: Krankheit, Liebe, Trauer? Und war nicht vielleicht . Oh, das eigene Übel lehrte einen allerhand: ›Das öffnet gewisse Fenster‹, dachte er. 
    Dann, gegen elf Uhr abends, machte er sich, wieder freier atmend, auf den Rückweg zum Büro. Er teilte langsam, mit den Schultern, die Menge, die sich vor dem Eingang der Kinos staute. Er hob die Augen zu den Sternen, die über der engen Straße glänzten, fast völlig überleuchtet von den Lichtreklamen, und dachte: ›Heute abend, mit meinen zwei Kurieren unterwegs, bin ich verantwortlich für einen ganzen Himmel. Der Stern da ist ein Zeichen für mich, das mich hier in der Menge sucht und findet: das ist der Grund, weshalb ich mich ein wenig fremd fühle, ein wenig einsam.‹
    Ein paar Töne Musik kamen ihm in den Sinn: eine Stelle aus einer Sonate, die er gestern mit Freunden zusammen gehört hatte. Die Freunde hatten sich verständnislos gezeigt: 
    »Diese Art Kunst langweilt uns und langweilt Sie; Sie geben es nur nicht zu.« 
    »Vielleicht …«, hatte er erwidert. 
    Er hatte sich einsam gefühlt, wie heute abend. Aber er war sehr bald des Reichtums solcher Einsamkeit innegeworden. Ihm, ihm allein unter all den Mittelmäßigen kam die Botschaft dieser Musik mit der Süße eines Geheimnisses. So auch das Zeichen des Sterns. Man sprach zu ihm, über so viele Schultern hinweg, eine Sprache, die er allein
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