Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
Vom Netzwerk:
lächerliches Leiden zu beichten, das ihm sein ganzes Leben vergällte, und Riviere hatte ihm scherzhaft erwidert: »Wenn Ihnen das den Schlaf raubt, fordert es nur Ihre Aktivität.«
    Das war nur halb im Scherz gesagt. Riviere pflegte zu behaupten: »Wenn ein Musiker in schlaflosen Nächten etwas Schönes komponiert, dann ist auch die Schlaflosigkeit etwas Schönes.« Einmal hatte er auf Leroux gedeutet: »Schauen Sie, wie schön, diese Häßlichkeit, die alle Liebe ausschaltet .« Alles, was tüchtig war an Leroux, verdankte er vielleicht diesem Mißgeschick, das sein Leben ganz auf seinen Beruf beschränkt hatte. 
    »Sie sind sehr befreundet mit Pellerin?« 
    »Ooh …«
    »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus.« 
    Riviere drehte sich um und begann langsam und mit gesenktem Kopf auf und ab zu gehen, Robineau hinterdrein. Ein trauriges Lächeln kam ihm auf die Lippen, das Robineau nicht zu deuten wußte.
    »Nur . nur sind Sie der Vorgesetzte.« 
    »Jawohl«, sagte Robineau. 
    Jede Nacht, dachte Riviere, schürzte sich da droben im Dunkeln eine dramatische Handlung. Ein Wanken des Willens konnte eine Niederlage zur Folge haben, es galt, jedesmal auf schwere Kämpfe gefaßt zu sein, bis der Tag kam.
    »Sie dürfen nicht aus der Rolle fallen.« 
    Riviere wog seine Worte:
    »Sie werden vielleicht diesem Piloten schon in der nächsten Nacht einen gefährlichen Start befehlen: er wird zu gehorchen haben.« 
    »Jawohl.«
    »Sie verfügen unter Umständen über das Leben von Menschen, und von Menschen, die mehr wert sind als Sie .« 
    Er schien zu zögern. 
    »Das ist eine ernste Sache.« 
    Riviere, immer langsam auf und ab gehend, schwieg einige Sekunden. 
    »Wenn sie Ihnen aus Freundschaft gehorchen, so ist das eine Täuschung, zu der Sie sie verleiten; Sie haben kein Anrecht auf irgendein Opfer.«
    »Nein . sicher nicht.«
    »Und wenn Sie glauben, daß Ihre Freundschaft ihnen gewisse Dienste ersparen wird, so ist das ebenfalls eine Täuschung: sie werden einfach zu gehorchen haben. Setzen Sie sich hier hin.«
    Riviere schob Robineau mit sanfter Hand an seinen Schreibtisch.
    »Ich werde Sie wieder an Ihren richtigen Platz stellen, Robineau. Wenn Ihnen schlapp zumute ist, so ist es nicht Sache der Leute, Sie zu stützen. Sie sind der Vorgesetzte. Ihre Schwäche ist lächerlich. Schreiben Sie.« 
    »Ich …«
    »Schreiben Sie: ›Der Inspektor Robineau diktiert dem Flugzeugführer Pellerin die und die Strafe zu aus dem und dem Grunde …‹ Sie werden irgendeinen Grund finden.« 
    »Herr Direktor!«
    »Tun Sie, als ob Sie verstünden, Robineau. Man soll die lieben, über die man befiehlt; aber man soll es ihnen nicht sagen.« 
    Robineau schwor sich, nun wieder mit Eifer hinter allen verrosteten Schrauben her zu sein.
    Ein Notlandeplatz teilte durch Funkspruch mit: »Flugzeug in Sicht. Flugzeug meldet: Motor läßt nach, werde landen.« 
    Das kostete sicher eine halbe Stunde. Peinigende Ungeduld, wie wenn der Schnellzug auf offener Strecke hält und plötzlich die Minuten leer stehen, deren jede eben noch ihr Teil vorbeisausenden Feldes eintrug. Der große Zeiger der Wanduhr beschrieb jetzt einen toten Sektor: was hätte nicht alles Raum finden können an Geschehen in dieser Lücke. Riviere ging hinaus, um sich über die Zeit wegzutäuschen, aber die Nacht erschien ihm öd und leer wie ein tteater ohne Schauspieler. ›Eine solche Nacht zu verlieren!‹ Er schaute grimmig durchs Fenster, zu dieser sternfunkelnden Klarheit hinauf, diesen himmlischen Landelichtern, diesem Mond, diesem ganzen vergeudeten Gold einer solchen Nacht.
    Aber sobald dann das Flugzeug wieder in Fahrt war, war auch für Riviere die Nacht wieder beglückend und schön. Sie trug das Leben in ihren Flanken. Und er wachte darüber:
    »Was für Wetter haben Sie vor sich?« ließ er die Besatzung fragen. 
    Zehn Sekunden vergingen: »Sehr schön.«
    Dann kamen Namen überflogener Städte - gefallene Festungen für Riviere.
VII
    Eine Stunde später fühlte sich der Funker des Patagonienkuriers plötzlich sanft emporgehoben wie von einer Schulter. Er blickte um sich: schwere Wolken löschten die Sterne aus. Er beugte sich zur Erde hinunter; er suchte die Lichter der Dörfer: Glühwürmchen im Grase; aber nichts glitzerte aus schwarzer Flur herauf. Mißmut stieg in ihm auf, er ahnte eine mühselige Nacht: Flug, Rückflug, gewonnenes Gelände, das man wieder aufgeben muß. Er begriff die Taktik des Piloten nicht; es schien ihm, daß man über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher