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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter
Autoren: Petros Markaris
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Ordnung ist.
    »Sei still, ich zittere immer noch am ganzen Leib. Ich war im Ortsverschönerungsverein, wir wollten unsere Vorgangsweise gegen Theologou, diesen Gauner, besprechen. Der will nämlich ein Hotel am Kap bauen und sich den ganzen Strand unter den Nagel reißen. Da merke ich plötzlich, wie der Boden unter meinen Füßen nachgibt! Bis ich bei der Schule angekommen bin, um Aspa in Sicherheit zu bringen, habe ich Höllenqualen durchlitten!«
    »Du hast das Unglück herbeigeredet! ›Wieso fahren wir denn weg, zu Hause ist es doch viel schöner, wozu brauchen wir Urlaub …‹ Wie hätte es da nicht zu einem Erdbeben kommen sollen, wenn man ständig lamentiert?« sagt Adriani zu mir, und mit einem Mal finde ich mich in der Rolle des Sündenbocks wieder, der das Erdbeben verursacht hat.
    Ich bin knapp davor, aus der Haut zu fahren. Wäre sie auf meinen Vorschlag eingegangen, doch lieber zu Hause zu bleiben, müßte sie jetzt auch nicht in den traurigen Trümmerhaufen nach unserer Unterwäsche stöbern. Plötzlich spüre ich einen bohrenden, stechenden Schmerz im Rücken und springe auf.
    »Was hast du? Wieder die Schmerzen?« fragt mich Adriani, die seit fünfundzwanzig Jahren jede meiner kleinsten Bewegungen mit Argusaugen verfolgt. »Geschieht dir recht, wenn du nicht zum Arzt gehst. Du zahlst vollkommen umsonst so hohe Beiträge an die Krankenkasse.«
    »Sie hat recht, warum gehst du mit deinen Schmerzen nicht zum Arzt?« mischt sich Eleni ein.
    »Weil er Angst davor hat wie alle Männer! Ein gestandener Hauptkommissar, Leiter der Mordkommission, der den ganzen Tag mit Mördern und Messerstechern zu tun hat, fürchtet sich vor dem Doktor!«
    »Es ist nur ein eingeklemmter Nerv. Ich renn doch wegen eines eingeklemmten Nervs nicht gleich zum Arzt.«
    »Ach, die Diagnose hat er auch schon parat«, sagt Adriani verächtlich.
    Das ganze Gespräch findet unter leichten Erdstößen statt, als befänden wir uns auf einem schaukelnden Tragflügelboot, und der Nieselregen wird langsam stärker. Seit einem Monat etwa taucht dieser plötzliche, heftige Schmerz in der linken Schulter auf, zieht sich in meinen Arm hinunter und klingt nach zehn Minuten wieder ab. Ich gehe nicht zum Arzt, da man immer, wenn man nachbohrt, mehr zutage fördert, als einem lieb ist.
    Ich höre auf, daran zu denken, nicht weil ich einen so eisernen Willen hätte, sondern weil sich auf dem Marktplatz ein aufrührerisches Geheul erhebt. Ich wende mich um und sehe, wie der Bürgermeister auf das Konzertpodium steigt und auf die Menge einzureden versucht.
    »Ruhe! Laßt mich doch zu Wort kommen!« ruft er, und der Tumult beruhigt sich etwas. »Ich habe mit der Präfektur gesprochen. Zelte und Wolldecken sind unterwegs«, ergänzt er zufrieden, doch seine Befriedigung bricht sogleich wieder in sich zusammen, da die Nachricht die Menge eher aufbringt als beruhigt.
    »Wann werden sie das alles schicken? Nächstes Jahr?«
    »Wir harren jetzt schon fünf Stunden im Finstern aus, sind vollkommen durchnäßt, und du kommst daher und willst uns weismachen, daß die Sachen unterwegs sind?« Mit Betonung auf dem »unterwegs«.
    »Ist dir klar, daß die Leute in Kalamata noch heute, zehn Jahre danach, in Wohnwagen hausen?«
    »So ein Staat kann mir gestohlen bleiben! Die können doch nur Steuern aus einem rauspressen!«
    Der Bürgermeister nimmt noch einen Anlauf. »Habt etwas Geduld, Leute! Wir sind nicht die einzigen, die schlimm dran sind.«
    »Wir sind zwar nicht die einzigen, aber wir werden die letzten sein, die Hilfe erhalten. Dank deines Einsatzes!«
    »Ich hab’s immer gesagt, wir hätten ihn nicht wählen sollen, doch ihr habt ja nicht auf mich gehört«, sagt jemand unüberhörbar zu seinem Nachbarn.
    »Sie werden bestimmt kommen, ihr habt mein Wort«, versichert ihnen der Bürgermeister, beunruhigt darüber, daß er Stimmen zu verlieren beginnt. Er sucht Halt und findet mich in der Menge.
    »Sehen Sie, was wir alles am Hals haben, Herr Kommissar? Es ist die reinste Odyssee, bis etwas hierher gelangt. Leider begreifen Ihre Kollegen in Athen das nicht.«
    »Die Leute hier haben nicht unrecht«, mischt sich Adriani ein, die sich darin gefällt, streunende Katzen und Hunde sowie Recht- und Heimatlose zu verteidigen, solange sie sie nicht im eigenen Haus beherbergen muß. »Warum schicken Sie keinen Hubschrauber los, um die Sachen zu holen? Sie haben doch einen Hubschrauberlandeplatz auf der Insel.«
    »Wir haben zwar einen Hubschrauberlandeplatz,
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