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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Autoren: Myrna E. Murray
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wirklich etwas Wertvolles bei mir hätte, aber ich mag es einfach nicht, wenn jemand Fremdes meine Sachen durchwühlt. Sein oder ihr Geruch klebt dann wie ein billig süßes Parfüm daran und drängt sich auf wie ein abgelegter One-Night-Stand. So was macht mich wirklich wahnsinnig ... wütend; doch zurück zu meinen Koffern.
    Ich trete einen Schritt zurück und betrachte sie liebevoll. Zwei Koffer, zwei Welten, zwei Leben, zweimal ich; oder zumindest das, was man für „mich“ hält. Es ist schon merkwürdig, wie sich dieser Dualismus wie ein schwarzweißes Kippbild durch mein Leben zieht. Zwei Seiten einer Medaille, die sich doch stets zu einer vereinen. Ich atme tief durch und schüttele kräftig den Kopf. Diese Art von Gedanken führen zu nichts und sind auch zu nichts nütze – also weg mit ihnen.
    Ohne diese Koffer wäre ich wirklich und wahrhaftig verloren, denn sie beinhalten einfach alles. Nicht auszudenken, wenn man sie in eine andere Kabine gebracht hätte! Sie sind groß, aus dunkelbraunem, wunderschön marmoriertem Leder und mit silbernen Beschlägen besetzt. Sie wirken klobig und antik, sind aber von einer unglaublichen Leichtigkeit, selbst wenn sie vollständig gefüllt sind.
    Sie stammen aus dem Nachlass eines antiken „Mitternachtszirkus“. Er bestand aus selbsternannten Kuriositäten wie der stärksten Frau der Welt, Schlangenmenschen, einarmigen oder einbeinigen Artisten, einer Wahrsagerin und all solchen Dingen, und manchmal, wenn ich die Augen schließe, kann ich noch einen schwachen Hauch der Welt wahrnehmen, aus der sie einst stammten. Einer Welt in die ich auch gepasst hätte, auch wenn mir bei diesem Gedanken nicht ganz klar ist, was genau dann dort meine Aufgabe gewesen wäre. Sei es drum. Nun enthalten sie meine Habseligkeiten – mein Leben; meine Welt.
     
    Ich trete auf die Koffer zu und öffne andächtig die schweren, aber gut geölten Scharniere. Die Deckel öffnen sich vor mir und ich blicke auf das Sammelsurium des Inhalts. Es könnte unterschiedlicher nicht sein. Einer ist gefüllt mit dem Glamour der Schönen und Reichen. Schillernde Farben in Chiffon, Satin, Seide und Organza neben High Heels, Pumps, Stiefeletten – alles was das „kleine Herz“ begehrt. Abgerundet wird das Ensemble durch ein ausgezeichnetes Angebot an Spitzenwäsche, Kaschmirpullovern, modischen Tops und Kostümen. Selbst ein paar Kleidungsstücke von Armani, D&G und anderen „Großen“ haben sich bereits hineinverirrt. Es steckt ein Heidengeld in diesem Schrankkoffer – eine Investition von vielen zur Abrundung meiner Gesellschaftsmaske.
    Zum Glück habe ich nur wenige dieser Stücke selbst bezahlen müssen. Man sagt zwar „Diamonds are a girls best friend“, aber haben Sie schon mal versucht eine Diamantenkette zu verkaufen? Da braucht man Papiere, Kaufbelege und all den Schnickschnack. Bei einem guten Kleidungsstück geht das viel einfacher, mal davon abgesehen, dass sie einem fast aus der Hand gerissen werden. Es muss nur das richtige Wäscheetikett darin sein. Nicht dass hier jetzt ein falscher Eindruck entsteht; all diese Dinge sind für mein Überleben notwendig und die Auswahl ist natürlich begrenzt. Mein ganzes Gesellschaftsleben passt in diesen einen Koffer und ich erweitere es, wenn es nötig ist.
    Im krassen Gegensatz zum ersten Koffer steht der Inhalt des zweiten. Er ist fast ausschließlich schwarz. Lack, Leder, schwerer Samt, Spitze, Netzstrümpfe und Docs; das ganze Programm. Mittendrin mein Schatz! Ein schlichtes schmuckloses Lederköfferchen, welches mein Baby enthält – meine Tätowiermaschine als Teil meines Handwerkszeugs. Darunter eine ebenfalls schlichte schwarze Ledermappe mit Bildern meiner Arbeiten. Im Stillen nenne ich es mein „Book of Secrets“. Meine Arbeiten sind gut, das weiß ich. Sie sind ein Teil meiner Seele – die Art wie ich mich ausdrücke. Die Menschen kommen mit ihren Wünschen und tief verwurzelten geheimen Vorstellungen zu mir und ich banne sie auf ihre Haut. Es ist schon merkwürdig. In dem Moment, in dem ich die Tätowiernadel in der Hand habe und die Rohskizze des Entwurfs auf die Haut meines Kunden bringe, verschmilzt ein Teil seines Lebens mit einem Teil von meinem. Der Rest ist Zeit und Technik.
    Seufzend schließe ich den zweiten Koffer. Auf diesem Schiff ist kein Platz für mein Alter Ego „C.J.“. Für die nächsten 14 Tage muss sie einfach eingesperrt bleiben und darf nicht raus zum Spielen. Sie würde ganz schön Ärger stiften, denn hier
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