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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Autoren: Myrna E. Murray
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rot. „Danke sehr, Miss Ashton.“
    „ Nichts zu danken.“
    Damit ist er raus aus dem Penthouse und schließt die Tür leise und diskret hinter sich. Ich schaue ihm nach und seufze. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass ich eine seltene, mysteriöse Krankheit habe. Wie heißt sie gleich? Ach ja: Porphyrie – eine schwere Form der Lichtallergie.
    Aber den Joker kann ich später auch noch ausspielen. Ich hasse es, mich in die Köpfe anderer einzuschleichen und ihnen meinen Willen aufzudrängen. Diese Maßnahme ist an einem Ort wie diesem reine Vorsicht, und doch fällt sie mir nicht leicht. Es kostet mich sehr viel Kraft, und es erfordert ein hohes Maß an Vorsicht und Konzentration. Gut, dies war nun ein einfacher Befehl ohne große Konsequenzen, und er wird Sully in seinem Servicegedanken nicht merkwürdig erscheinen, aber das ist nicht immer der Fall.
    Ich kann, wenn ich es darauf anlege, nicht nur Befehle in einen menschlichen Geist setzen, ich kann auch Erinnerungen verändern oder sogar ganz löschen. Die Erinnerung an mich zum Beispiel. Doch es bleibt immer ein Restrisiko, dass es nicht funktioniert oder mein Opfer einen Logikfehler in seinen Erinnerungen findet. Dieser nagt an ihm, bis sich mein Konstrukt in seinem Kopf ganz von selbst auflöst und die reale Erinnerung zurückkehrt. Spätestens dann sollte ich weit, weit weg sein. Alles andere wäre, naja, ich denke lieber nicht darüber nach.
    Achselzuckend wende ich mich von der Tür ab, bewege mich langsam, fast andächtig auf den Fernseher zu und greife genüsslich nach der Fernbedienung. Wie ein heimlicher Geliebter kommt sie mir vor und als solcher muss sie auch behandelt werden. Liebevoll streiche ich über die kleinen Tasten und wir machen uns miteinander vertraut.
    Ein letzter Blick darauf und ich bin in ihre Geheimnisse eingeweiht. Ein Klick und der Bildschirm erwacht leicht summend zum Leben. Gestochen scharfe Bilder und ein Sound, der aus verschiedenen Ecken der Suite gleichzeitig zu kommen scheint. Eine perfekt ausgepegelte Surroundanlage, wundervoll. Ich zappe durch die Kanäle und lande bei Jerry Springer. Oh, ich liebe Talkshows. Menschen, die ihre privaten Probleme in aller Öffentlichkeit diskutieren. Wo sind nur die kleinen Geheimnisse geblieben, die im trauten Familienalltag vor sich hin gären und das Familienklima bestimmen? Das Salz in jeder Suppe eines Familientreffens. Der Schmierstoff, der die Generationen überlebt und den man nur in kleinen Portionen wohldosiert erträgt, ohne dass gleich das Chaos ausbricht.
    Die schiefen Blicke, die unausgesprochenen Worte, die angefangenen Sätze, die missbilligend hochgezogenen Augenbrauen oder einfach nur die Stille, diese totale Stille. All das bildet den geheimen Code, in den man initiiert wird, den man quasi mit der Muttermilch aufsaugt ... All das geht verloren, wenn man sich in eine Talkshow setzt und „ganz offen“ mit den großen und kleinen Geheimnissen umgeht. Andererseits können sich Leute wie ich dann daran erfreuen. Wer also auch immer die Talkshows erfunden hat, ich würde ihm einen Orden verleihen.
     
    Gerade lümmele ich mich in einen der bequemen Sessel, als es an der Tür klopft. Wer stört denn ausgerechnet jetzt? Ich unterdrücke das verärgerte Knurren, das sich in meiner Kehle sammelt, stehe auf und öffne die Tür. Davor steht ein junger Roomboy mit meinem Hab und Gut. Er verbeugt sich höflich und hievt die beiden Schrankkoffer nicht ohne Anstrengung in die Suite. Er ist zu höflich sich zu beschweren, und doch kann ich die Anstrengung auf seinem Gesicht sehen. Sollte ich vielleicht? Nur ein Schlückchen? Er ist noch so jung und würde es sicher gut verkraften, doch ich reiße mich zusammen. Dies kann eine verdammt lange Überfahrt werden, und ich muss ja nicht sofort auf alle Ressourcen zurückgreifen. Dieses Schiff wird bald voller Menschen sein. Menschen allen Alters und aus jeder Gesellschaftsschicht. Ich werde mich also gedulden, mich voller Vorfreude einrichten und das tun, was ich am besten kann. Warten, beobachten und im geeigneten Moment zuschlagen. Der junge Roomboy wünscht mir einen schönen Abend und verschwindet genauso diskret wie er gekommen ist. Wirklich zuvorkommend, das Personal, anders kann man das nicht nennen.
    Während sich im Hintergrund ein junges Paar anbrüllt und sich nicht einig ist, wer wen zuerst betrogen hat, öffne ich die Zahlenschlösser an meinen Koffern. Auch dies ist eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Nicht dass ich
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