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Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Autoren: Myrna E. Murray
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Sorte.
    Mein Tee wird kalt und du wirst müde. Ich merke es daran, dass du dir die zufallenden Augen reibst, um wach zu bleiben. Gut. Es ist Zeit zu gehen, Kleiner – Zeit, „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Mit einer geübt unauffälligen Handbewegung schütte ich den kalten Tee in den Topf einer Zimmerpflanze, die traurig die Blätter hängen lässt. Wahrscheinlich hat man sie bei all der Weihnachtsdeko einfach vergessen.
    Danach zahle ich und sage dir, dass wir jetzt gehen müssen, weil deine Eltern dich sicher suchen, und leider kannst du auch nicht bei mir bleiben. Ja doch, ich mag Kinder und ich habe auch Platz für sie. Aber morgen fahre ich weg und deine Eltern sind dann sicher ganz krank vor Sorge. Ganz bestimmt. Du glaubst mir nur widerwillig, lässt dir aber die nun wenigstens ein bisschen trockenere Anzugjacke wieder überziehen.
    Und dann sind wir auch schon wieder draußen in der Wirklichkeit. Du bist schon viel zu müde, um meine nun wirklich kalten Hände zu bemerken. Langsam und fast träge hängst du an meinem Arm, der dich nun sehr fest umklammert hält. Ich steuere einen abgelegenen Seitengang des Bahnhofs an. Hier ist es dunkel, doch ich kann sehen. Auch ist in der Luft ein schaler Geruch von Urin und Alkohol, das Eau de Toilette der Großstadt. Du hast Angst und bleibst stehen. Es ist dir zu dunkel und zu unheimlich hier.
    Ich beuge mich zu dir runter, sage dir, dass alles in Ordnung ist, wir nehmen nur eine Abkürzung. Stell dir einfach vor, du musst durch die Nocturngasse gehen, um schneller zurück in die Winkelgasse zu kommen. Mal gut, dass ich die Filme doch gesehen habe. Also, willst du so mutig sein wie Harry und gegen deine Angst kämpfen? Natürlich willst du. Wenn Harry das kann, dann kannst du das auch. Außerdem ist ja Dobby noch bei uns.
    Ich lasse dich einen Schutzzauber sprechen und dann rennen wir los. Zurück auf die Lichter des Bahnhofs zu. Allerdings laufen wir nur ein paar Schritte, denn du strauchelst plötzlich und drohst hinzufallen. Das ist der Moment, in dem mein Geist in den deinen eindringt und ihn schlafen schickt. Gleichzeitig fange ich dich auf und nehme dich auf die Arme. Es soll schließlich keiner behaupten, ich würde mich nicht kümmern.
    Außerdem sieht so niemand, wie ich meine Zähne in deinen Hals schlage. Du hast dich sicher gewundert, warum ich den Tee nicht getrunken habe, nun weißt du es. Ich brauche ihn nicht. Nur dich brauche ich. Dich und dein Blut.
    Bevor ich dir alles an Blut genommen habe und du womöglich doch noch stirbst, lasse ich von dir ab. Diese Stadt ist zwar groß, aber eine Kinderleiche sorgt für zu viel Aufsehen. Außerdem würde man sich vielleicht an uns erinnern, wenn man der Kellnerin im Pub dein Bild zeigt. Also trage ich deinen schlaffen Körper zurück zum Bahnhof und gebe dir das größte Harry Potter Abenteuer ein, das du jemals erlebt hast.
    Drachen, Feen, Kobolde, eine Flucht im Wald und natürlich der Vielsafttrank spielen darin eine große Rolle, mit dir als Held. Ich glaube, Miss Rowling wäre stolz auf mich. Bei all der Freude haben wir deinen „Dobby“ natürlich nicht vergessen. Ich habe ihn dir unter deinen schlaffen Arm geklemmt, damit er nicht verloren geht. Um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen, steuere ich zügig das Gleis mit dem Häuschen der Bahnhofsmission an.
    Diese ist zu dieser Zeit zwar mehr mit dem Ausschank von Glühwein beschäftigt, aber das stört ja nicht unbedingt. Wer achtet schon auf Mutter und Kind, die sich einen Moment aufwärmen wollen? Außerdem sind dort viele Leute und man wird dich finden. Wenn nicht, dann hast du Pech gehabt, kleiner Mann. Auf halbem Weg sehe ich eine Frau in der blauen Tracht der Bahnhofsmission. Sie sieht dich in meinem Arm, kommt schnell auf uns zu und ich hoffe für sie, dass sie das Richtige tut.
    Sie fragt mich, ob es uns gut geht und ob sie uns helfen kann bei der Kälte. Ich nicke und folge ihr in das Häuschen. Ich erkläre ihr kurz, dass du nicht mein Kind bist, sondern dass ich dich gefunden habe und es schließlich meine Bürgerpflicht sei zu helfen. Sie wirkt irritiert, sucht aber eine warme Decke heraus. Wo ich dich denn gefunden hätte? Na ganz einfach, in der Ladenpassage. Warum ich denn nicht die Polizei oder einen Krankenwagen gerufen habe?
    Ich übergehe das und vermute weiter, dass du dich wohl verlaufen hast und dass du ohnmächtig wurdest, als ich dich fand. Das ist ja auch kein Wunder bei der Kälte. Sie schaut mich nun misstrauisch an und ich
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