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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner
Autoren: Myra Çakan
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ausgerichtet, so kurze Zeit wie möglich den heißen Straßenbelag zu berühren.
    Tip, tap, tap, da hatte er ihn, diesen Beat, er fügte sich so perfekt in den Sound ein, den der alte Blues immer spielte. Und plötzlich entstand in seinem Kopf, zu dem Trommeln seiner nackten, harten Sohlen, dieses knisternde, geladene Riff, dieser totale, abgehobene Klang, den er sonst nur in seinen ruhelosen Träumen hörte. Den Sound, den nur dieser Junge, den sie Chip genannt hatten, weil er aus diesem Nest namens Chipawmounk stammte, drauf gehabt hatte.
    Irgendwann, da würde er spielen, seine Finger auf den scharfen Saiten und sein Körper voller Rhythmus. Irgendwann, eines Tages, würde die Musik aus seinem Kopf für alle zu hören sein. Dann wäre er nicht mehr der rastlose Junge in zerrissenen Jeans.

    Blues saß wie jeden Tag auf dem Trittbrett seines Trucks. Die fast blinden Augen geschlossen, das altersgraue Gesicht der wärmenden Sonne zugewandt. Als er den Jungen hörte, setzte er die Harmonika ab und verstaute sie bedächtig in der Brusttasche seines zerschlissenen Overalls.
    »Hast du bekommen, was du wolltest, Junge?«
    »Ich hab dir was mitgebracht«, antwortete er ausweichend. Nie hätte er dem alten Blues gegenüber einen Misserfolg eingestanden. Rasch zog er ein zerdrücktes Zündholzheftchen aus seiner Tasche, das er in einem der Wracks am Highway gefunden hatte. Auf dem verblichen Papier konnte er noch den Schriftzug ›Mel’s Drive-In‹ entziffern.
    Die schlechten Augen hatten Blues’ Gehör nur noch feiner gemacht. Ihm entging keine Nuance im Tonfall seines Freundes, auch nicht dieser leise Unterton von Resignation.
    »Harte Zeiten, für jeden von uns«, sagte er nachdenklich, und seine Miene wurde abwesend.
    Neil wusste, gleich würde der Alte wieder von der Vergangenheit reden. Vorsichtig, als wollte er vermeiden, einen Schlafenden zu wecken, hockte er sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden. Diese Momente, wenn der Schwarze seine Geschichten erzählte, hatten etwas sehr Kostbares für ihn. Kein anderer verstand es, die Legenden zum Leben zu bringen, machte ihre Musik hörbar. Den Sound der verlorenen Generation.
    »Sind damals zusammen auf Tournee gegangen, dieser blinde Junge und ich. Keiner spielte die Blues-Harp wie er, yeah man, der Junge hatte Soul. Wir waren nur die Vorgruppe, Gil, Jed und Brownie, hatten gerade unseren ersten Vertrag und waren richtig heiß. Unten in Tampa hat es Gil dann erwischt, haben ihn festgesetzt, wegen einem gottverdammten Joint. Machten ihn fertig, im Straflager, konnte nie mehr ’ne Gitarre halten, ohne das Zittern zu kriegen. Da hilft dir nichts mehr, wenn du das Zittern hast, Junge.«
    Dies war die richtige Stelle für eine Frage, damit der Alte nicht aufhörte zu reden. Ein Ritual, wie die täglichen Fingerübungen, die er ihm gezeigt hatte.
    »Was ist aus ihm geworden, Blues?«
    »Gil?« der Schwarze überlegte, »war noch ’ne Weile als Roadie mit dabei. Ist dann später seine eigenen Wege gegangen. Waren harte Zeiten damals.«
    »Und dann hattet ihr doch den Top-Ten-Hit?«
    »Nein, Junge, das war erst später, viel später. Damals auf der Tour, da waren wir ziemlich am Arsch, ohne Leadgitarristen. Da ist dann eines Abends, nach der Show, dieser Junge hinter die Bühne gekommen. Muss ungefähr so in deinem Alter gewesen sein, Neil. Sagte, er wolle bei uns einsteigen, einfach so, verstehst du? Klar wir waren noch kein Main-Act, nur die Vorgruppe, aber wir waren dabei, standen jede Nacht da oben und machten unsere Show, Mann.«
    Blues holte tief Luft. Er hatte sich jetzt richtig warm geredet. Ohne hinzusehen, langte er hinter sich in den Wagen und griff sich eine Dose lauwarmes Bier. Mit einer Hand zog er den Verschluss ab und nahm einen langen Zug.
    »Und dann holte er diese alte Fender Telecaster aus seinem Koffer, stöpselte sie an einen unserer Amps und spielte. Mann, sag’ ich, er spielte? So was hatten wir noch nie gehört, dieser magere Junge, was der aus der alten Gitarre holte, das war Magie, sag ich dir, pure Magie.« Er starrte ins dunstige Nirgendwo seiner Vergangenheit und schüttelte den Kopf. »Glaub mir, Junge, ich hör ihn noch, diesen irren Sound. Ich hör ihn noch bis zum Jüngsten Tag.«
    »Und was passierte dann?« Neil kannte die Geschichte auswendig, bewegte die Lippen stumm zu den Worten, die jetzt immer folgten, konnte sie nicht oft genug hören. Eines Tages, ja eines Tages, würde auch sein Traum Wirklichkeit werden.
    »Ganz
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