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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner
Autoren: Myra Çakan
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geprägt (mit der natürlich auch ich groß geworden bin), und dennoch gelingt es ihr, mit einer eigenen, klaren und deutlichen Stimme zu sprechen, die Ihre Kurzgeschichten und Romane so eigenständig macht.
    Persönlichen Kontakt mit Myra Çakan hatte ich erst ein rundes Jahrzehnt später (über den von uns beiden geschätzten John Shirley, übrigens), zu einer Zeit, da die Science Fiction nach meinem Dafürhalten (Myra Çakan würde mir jetzt sicher vehement widersprechen, und vermutlich nicht nur sie) weitgehend marginalisiert ist und in der öffentlichen Wahrnehmung bestenfalls am Rand des Blickfelds dahinsurft. Derzeit wird das Genre von verschiedenen Strömungen beherrscht, die man teilweise schon seit den 1930er und 1940er Jahren als abgehakt angesehen hatte (und die wenig mehr als die ganz hartgesottenen Fans ansprechen); zahlreiche Autoren veröffentlichen militaristische Weltraumepen, in denen, wie in der Steinzeit des Genres, der amerikanische Imperialismus mit einem forschen »Westward Ho!« in den Weltraum getragen wird. »Military Science Fiction« nennt man das, vermutlich, weil es fremdsprachig irgendwie trendy klingt und nicht ganz so altbacken, wie es in Wahrheit ist.
    In dieser Situation literarischer Regression stellt Myra Çakan eine wohltuende Ausnahme von der Regel dar. Sie kennt die Science Fiction in- und auswendig und versteht es versiert und ironisch – jedoch niemals diffamierend! – ihre Klischees zu entlarven, mit ihren Konventionen zu spielen. Und sie kann schreiben. Das hat mir persönlich einmal mehr schon die erste Story dieser Sammlung gezeigt, die hier erstmals im Druck erscheint: ein atmosphärisch dichtes Stück Science Fiction, wie ich es mir wünsche, dem es tatsächlich gelungen ist, jenen vielzitierten »sense of wonder« des Genres heraufzubeschwören und mir ein Lektüreerlebnis zu verschaffen, das dem Staunen gleichkommt, das ich nach der Lektüre von »Burning Chrome« empfand. Diese Story (aber natürlich auch alle anderen dieses Bandes) hat einfach alles: Musik, Rhythmus, den richtigen Beat, der einen in die imaginäre Welt hineinzieht wie ein Ventil, eine Atmosphäre mit genau der richtigen Mischung von Sarkasmus und Weltschmerz – sie ist nicht nur große Science Fiction, sondern große Literatur.
    Im vergleichsweise trostlosen galaktischen Imperium, das die Science Fiction momentan darstellt, gehört Myra Çakan zum »Fähnlein der sieben Aufrechten«, für die das Wort »Literatur« in »Science-Fiction-Literatur« noch etwas bedeutet. Sie ist gewissermaßen eine Bewohnerin jenes wohlbekannten kleinen gallischen Dorfes, das allen Widrigkeiten zum Trotz nicht aufgibt und erbitterten Widerstand leistet. Allein dafür verdient sie unsere Hochachtung.
    Als deutsche Sciene-Fiction-Autorin ist Myra Çakan – jedenfalls für mich – einige der Wenigen, die auf der internationalen Bühne bestehen können und deren Werke man gern präsentiert sieht, wenn es darum geht, die deutsche SF im Ausland vorzustellen (im Gegensatz zu denen zahlreicher Kollegen, deren Bücher man dann doch lieber unter den dicksten Siebziger-Jahre-Flokati kehren möchte, den man finden kann). Die vorliegenden Geschichten liefern einen deutlichen Beweis dafür.
    (Und à propos kleines gallisches Dorf: Wenn ich Besuch von Freunden und Kollegen bekomme und irgendwann frage, ob ich einmal eine meiner Platten oder CDs auflegen soll, finde ich mich meist in einer ebenfalls aus besagtem gallischen Dorf bekannten Situation wieder: Plötzlich springen alle auf und müssen dringend weg – haben einen Termin vergessen, noch ein Wildschwein auf dem Feuer, was man eben so als Ausrede anbringen kann: als hätte Troubadix zur Leier gegriffen. Auch so schließt sich mancher Kreis.)

    Bellheim, April 2012

Zufällige Weggefährten

    Der rissige Asphalt flimmerte in der Mittagshitze, er streckte sich bis zum Horizont wie ein endlos fließender, träger Fluss. Oberhalb des Coconut Grove wechselten sich die schmutzigweißen, flachen Baracken mit unkrautbewachsenen Plätzen ab. Leere Flächen, auf denen früher die chromglänzenden Caddys, Buicks, und Pickup-Trucks der Supermarktkunden geparkt worden waren. In einem dieser Kleinlaster wohnte jetzt der alte Blues. Die dünne Luft trug den Klang seiner Mundharmonika über das Viertel.
    Neil lief gleichmäßig den schmalen Seitenstreifen des Boulevards entlang. Losgelöst von seinen Gedanken, zwang er seinen Füßen einen stetigen Rhythmus auf, nur auf das eine Ziel
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