Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
sicher, dass Sie diese junge Frau kennen. Sie haben versucht, sie umzubringen. Sie möchte sich bei Ihnen für alles Böse, das durch sie über Alie’e gekommen ist, entschuldigen, und im Gegenzug möchte sie Ihnen die Gelegenheit geben, sie um Verzeihung für die Ermordung ihres geliebten Bruders zu bitten.«
    Jael trat in den Verkaufsraum. Lucas hatte ihr dringend empfohlen, dicht bei der Tür zu bleiben, damit sie schnell davonrennen konnte, falls Scott durchdrehte. »Solange er in der Kabine bleibt, hast du nichts zu befürchten«, hatte er gesagt.
    »Mr. Scott, es tut mir aufrichtig Leid …«, begann sie.
    Sie macht das großartig, dachte Lucas – ihn offen anzusehen und ihm ihr Narben-Gesicht zu präsentieren. »Ich hatte eine schwere Kindheit«, sagte sie. »Sehen Sie sich meine Narben an.« Sie tippte mit der Fingerspitze auf ihr Gesicht. »Ich war als Jugendliche in einen Autounfall verwickelt …«
     
     
    Die beiden redeten einige Minuten miteinander, dann schüttelte Scott den Kopf, wirkte benommen. »Auf welchen Deal wollen Sie hinaus?«, fragte er dann.
    Lucas erklärte es ihm: »Ich gehe zurück zur Absperrung, hole ein Kamerateam Ihrer Wahl und komme damit zurück. Sie nehmen alle Patronen aus Ihrem Gewehr – übrigens, wo ist Ihre Shotgun?«
    »Hinten in meinem Wagen. Ich kam nach der Rutschpartie nicht mehr schnell genug dran.«
    »Okay: Also, Sie entfernen alle Patronen aus dem Gewehr, legen die Waffe weg. Dann öffnen Sie die Kabine und ergeben sich Jael – erklären ihr gegenüber, dass Sie aufgeben, und das alles vor laufender Kamera und Millionen Zuschauern, und dann gehen wir alle gemeinsam zur Absperrung, und man nimmt Sie offiziell fest. Ein Anwalt steht schon für Sie bereit.«
    »Welcher Kanal?«
    »Drei? Wollen Sie Ginger wieder haben?«, fragte Lucas.
    »Nein. Sie war okay, aber ein bisschen zu … glatt. Sie hatte nicht dieses schneidige Auftreten, wie man’s sonst sieht. Wie wär ’s mit … ehm, was schlagen Sie vor?«
    »Sechs. Bei Kanal sechs gibt es eine Reporterin, die so was wie eine verkannte Schönheit ist.«
    »Doch nicht etwa Ellen?«
    »Doch, Ellen. Sie steht da draußen, Martin.«
    Er zögerte noch einen langen Herzschlag. Dann aber sagte er: »Okay. Ellen.«
     
     
    Lucas ging nach draußen, deutete auf Ellen Goodrich, die sofort losraste, ihren Kameramann hinter sich herzerrte. »Lucas … was soll ich nur sagen? Was machen wir?«
    »Wir werden seine Kapitulation aufnehmen.«
    »O Gott, das ist … das ist einfach …« Sie schien vor Dankbarkeit den Tränen nahe zu sein, riss sich aber zusammen. »Auf geht’s«, sagte Lucas.
     
     
    Die Kapitulation verlief, wie Lucas meinte, bis zu einem bestimmten Punkt zufrieden stellend. Jael gab vor laufender Kamera ihre Erklärung ab – eine formelle Entschuldigung für alles Böse, das sie und andere in Alie’es Leben gebracht hatten. Scott entschuldigte sich für die Morde, fügte aber hinzu, er halte sie nach wie vor für gerechtfertigt. Aber Jael habe durch ihr gütiges Verhalten so manches wiedergutgemacht.
    Dann zeigte die Kamera in Großaufnahme Scott mit seinem Gewehr; er repetierte das Schloss so oft, bis keine Patrone mehr heraussprang. Und dann sagte er feierlich: »Hiermit ergebe ich mich Jael Corbeau, dieser so mutigen Frau.«
    Er entriegelte die Tür. Augenblicklich brüllte Ralph, bis zu diesem Moment noch seine Geisel, Scott an: »Du D RECKSAU !« Er riss den kleinen tragbaren Fernseher vom Regal, und als Scott erschreckt zu ihm herumfuhr, schmetterte Ralph ihm das Gerät ins Gesicht.
    Scott ging zu Boden, als sei er von einem größeren Meteoriten getroffen worden. Lucas schrie: »Heh!« und versuchte, die Tür zu öffnen, aber Melody hatte bereits damit begonnen, auf Scott einzutreten, und sie schrie dazu mit einem unerwarteten mexikanischen Akzent »Du M ISTKERL !« Dann schnappte sie sich eine Dose Pyroil-Starterflüssigkeit vom Regal und schlug damit auf Scotts Hinterkopf ein, fetzte haarige Streifen aus seiner Kopfhaut.
    Scott stemmte sich hoch, versuchte durch den Hagel der Schläge aus der Tür zu kriechen, aber dort wartete Jael bereits auf ihn. Lucas versuchte, sie zurückzureißen, aber sie klammerte sich am Türrahmen fest, schrie: »Du verdammtes Schwein hast meinen Bruder getötet!« Der benommene, blutende Scott sah zu ihr hoch, und sie trat ihm wuchtig gegen das Auge, und Scott ging wieder zu Boden.
    Der Kameramann drängte sich in eine bessere Aufnahmeposition, und Lucas schob Jael
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher