Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
Verna Clays Duft in der Nase ließ er sich ins Bett fallen. Nach fünf Minuten schlief er mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht ein.
    Sein Schlaf dauerte genau drei Stunden und fünfundvierzig Minuten. Das Telefon schrillte, der für dienstliche Anrufe reservierte Apparat. Lucas stemmte sich verschlafen auf den Ellbogen, nahm den Hörer ab.
    »Ja?«
    Swanson, einer aus der alten Garde: »Gottverdammt, du bist tatsächlich zu Hause … Du weißt, wer Alie’e Maison ist, das berühmte Model?«
    »Ja …«
    »Sie ist im Haus einer reichen Lady erwürgt worden. Jemand muss sich um die verdammte Medien-Scheiße kümmern; mal wieder ein Fall, der Schlagzeilen machen wird.«

3
     
     
     
    Samstag. Erster Tag des Mordfalls Alie’e Maison.
    Es war kalt draußen, kälter als üblich an einem Morgen Mitte November. Der See, hundert Meilen nördlich von hier, war jetzt bestimmt ganz zugefroren, dachte Lucas. Er stand an einer Zapfsäule und ließ fünfzehn Gallonen Super in den Tank seines Porsche gluckern. Zwei Blocks von seinem Haus entfernt, auf dem Weg zum Tatort des Mordfalles Alie’e Maison, hatte ihn die Nadel der Kraftstoffanzeige daran erinnert, dass er dringend Sprit brauchte – der Tank war fast leer. Und nun musste er, zum ungünstigsten Zeitpunkt, die Fahrt unterbrechen.
    Er gähnte, schaute sich um. Der Tankwart, ein junger Bursche, saß in einer Panzerglaskabine und ließ die Daumen über die Tasten eines Gameboy gleiten. Er wirkte wie eine Figur auf einem Gemälde von Edward Hopper. Lucas registrierte diese Hopper-Assoziation nicht; er fragte sich gerade, warum die Zapfsäulen beim Tanken nicht mehr klingelten. Früher hatten sie bei der Abgabe einer bestimmten Spritmenge – einer Gallone oder so – immer geklingelt, jetzt aber ratterten sie nur gelbe elektronische Zahlen herunter, Gallonen und Dollars, lautlos wie die Nacht.
    Ein kleiner Lincoln, der Typ, dessen Karosserie einem Jaguar ähnlich sieht – Lucas konnte sich die Typ-Bezeichnung des Lincoln einfach nicht merken –, fuhr an der zweiten Zapfsäule vor. Lucas gähnte wieder und sah zu, wie eine Frau aus dem Wagen stieg.
    Und hörte abrupt auf zu gähnen. Die Frau kam ihm irgendwie bekannt vor, aus lange zurückliegenden Zeiten. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber es war ja auch nicht das Gesicht, das seine Erinnerung wachgerufen hatte – es war die Gestalt, das Haar und die Art, wie sie sich bewegte.
    Ihr Gesicht blieb abgewendet, während sie die Tankklappe an ihrem Wagen öffnete, den Tankdeckel abschraubte und den Zapfhahn in den Stutzen einführte. Sie trug einen Hosenanzug, eine dunkle Bluse und flache schwarze Schuhe. Sie wandte sich ihm zu, als sie ihre Kreditkarte durch den Schlitz des Kartenlesers zog, aber er nahm nur einen kurzen Eindruck von ihrem Gesicht wahr. Eckiges Kinn, blondes Haar. Er dachte an Weather, die Frau, die er beinahe geheiratet hatte – und hätte heiraten sollen, denn er konnte sie nicht vergessen –, aber es war nicht Weather. Weather war kleiner, und er hätte sie aus meilenweiter Entfernung erkannt, selbst wenn sie ihm den Rücken zudrehen würde.
    Der Einfüllstutzen zuckte in seiner Hand, als der eingehakte Griff aus der Verankerung rutschte. Der Tank war voll. Er steckte den Stutzen zurück in die Halterung, ging dann in den Verkaufsraum der Tankstelle, holte sich eine Diet Coke aus einer Kühlbox und schob einen Zwanziger und einen Zehner durch den Zahlschlitz der Kabine. Der junge Mann konnte sich kaum von seinem Spiel losreißen und schob abwesend das Wechselgeld mit einer Hand zurück durch den Schlitz. Ein College-Mathematikbuch lag neben ihm auf dem Schalter.
    »Gehen Sie auf’s St. Thomas-College?«, fragte Lucas.
    »Ja.«
    »Schwierig, dann auch noch den Nacht-Job hier zu machen.«
    »Das Leben saugt einen aus, und dann muss man sterben«, sagte der Junge. Er lächelte nicht; er schien es ernst zu meinen. Sein Blick ging über Lucas’ Schulter, und eine helle Sopranstimme fragte: »Lucas? Bist du das tatsächlich?«
    Er drehte sich um, aber er brauchte sich nicht mehr zu vergewissern, um wen es sich handelte. Ihre Stimme hatte die Erinnerung sofort wachgerufen. »Catrin!«, staunte er.
    Sie lächelte ihn an, und dieses Lächeln warf ihn fast um. Sie war vierundvierzig, etwa zehn Pfund schwerer als damals im College und ein wenig runder im Gesicht, hatte aber immer noch diesen makellosen Waliser Teint und das rotblonde Haar. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte …
    »Muss
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher