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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden
Autoren: V.C. Andrews
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Beinahe hätte ich kein Wort herausgebracht, als er antwortete. Er klang so traurig, so einsam. Meine Hand zitterte, als ich seine Stimme hörte, aber dann schloß ich die Augen und bemühte mich, laut und deutlich zu sprechen. Als er meine Stimme vernahm, gewann auch die seine ihre Festigkeit und Frische zurück.
    »Seit Tagen versuche ich dir einen Brief zu schreiben, Luke, aber alles, was ich aufs Papier bringe, gefällt mir danach nicht mehr.«
    »Ich weiß. Das ist auch der Grund, warum ich nicht mit dir gesprochen und dir nicht geschrieben habe. Aber ich bin jetzt froh, daß du angerufen hast. Ich versuche, mich immer mit irgend etwas zu beschäftigen, um nicht ins Nachdenken zu verfallen, aber das ist gar nicht so einfach. Ich bin so glücklich, deine Stimme zu hören, Annie.«
    »Mir geht es genauso. Ich rufe allerdings wegen trauriger Neuigkeiten an«, sagte ich und erzählte ihm von Tonys Tod und Troys Anruf. »Deine Mutter ist verärgert darüber, daß ich hingehen will, und hat erklärt, daß sie jedenfalls ganz bestimmt nicht nach Farthy zurückkehren will. Sie hat wohl geglaubt, allein würde ich nicht fahren wollen, aber ich werde es tun! Ich komme jetzt mit meinen Krücken schon ganz gut zurecht – «
    »Ich werde am Morgen des Begräbnisses kommen und dich nach Farthy bringen«, antwortete Luke, ohne zu zögern.
    »O Luke, ich hatte gewußt, daß du das tun würdest.«
    »Ich liebe dich, Annie. Ich kann es nicht ändern. Ich werde damit leben müssen und daran leiden, bis ich sterbe.«
    »Ich liebe dich auch, Luke.« Einen Moment lang sagte keiner von uns ein Wort. Schließlich seufzte ich tief, sah das Bild an, das ich von ihm gemalt hatte, und gewann meine Fassung zurück. »Übrigens, Luke, ich habe ein Bild von dir gemalt, wie du im Pavillon stehst.«
    »Wirklich? Kann ich es haben und über mein Bett hängen?«
    Eigentlich wollte ich es selbst behalten, aber es erschien egoistisch, seine Bitte abzulehnen.
    »Natürlich.«
    »Ich werde es mir ansehen, wenn ich dich abhole. Du brauchst dich wegen der Reise um nichts zu kümmern. Ich erledige das alles schon.«
    »Danke, Luke.«
    »Annie, es fällt mir zu schwer zu verleugnen, was ich für dich empfinde.«
    »Ich weiß. Mir geht es genauso.«
    »Also, bis bald.«
    Wir fühlten beide aus dem gleichen Grund, daß wir das Gespräch jetzt abbrechen mußten: Jedes Wort wurde zu einem spitzen Schwert, das sich in unsere Herzen bohrte. Dennoch fühlte ich mich sonderbar glücklich.
    Später am Nachmittag rief Drake an. Er war überrascht, daß ich bereits von Tonys Tod wußte, und es verwunderte ihn noch mehr, als ich ihm erzählte, daß ich zur Beerdigung kommen würde. Er fragte mich nicht, wie ich davon erfahren hatte, und so erzählte ich auch nichts von Troy. Drakes geschäftlicher Tonfall stieß mich ab.
    »Hör mal, wenn du schon beschlossen hast, hierherzukommen, hättest du mich ruhig anrufen können. Aber es ist ja noch nicht zu spät. Ich werde mich darum kümmern, daß du abgeholt wirst.«
    »Das ist schon alles geregelt. Luke kommt auch mit.«
    »Das hätte ich wissen müssen.«
    »Bitte, Drake. Tony zuliebe, um seines Andenken willen, laß uns Frieden bewahren«, bat ich.
    »Oh, ich werde mich selbstverständlich nicht zu… einer Auseinandersetzung mit ihm hinreißen lassen. Schließlich wird jeder, der in der Geschäftswelt Rang und Namen hat, zu dem Begräbnis kommen, da kannst du sicher sein.«
    »Ich wollte nicht sagen, daß – «
    »Wie auch immer, du kannst dir gar nicht vorstellen, wieviel noch zu tun ist. Ich habe gar keine Zeit, um mich mit Luke zu beschäftigen. Glücklicherweise bin ich hierhergekommen, bevor all das geschehen ist. Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute halten mich für Tonys Sohn – soviel Respekt bringen mir alle hier entgegen! Ich wollte die Neuigkeit eigentlich als Überraschung aufheben, aber ich kann sie dir ja auch gleich erzählen: Bevor Tony starb, hat er mir ein dickes Aktienpaket seiner Firma überschrieben.« Er hielt inne, und als ich ihm nicht schnell genug gratulierte, fügte er trocken hinzu: »Ich dachte, du würdest dich freuen.«
    »Ich weiß, Drake. Das ist ja genau das, was du dir gewünscht hast. Du bist bestimmt sehr glücklich.«
    Er war enttäuscht über meine verhaltene Reaktion.
    »Nun, wir sehen uns dann in Farthy bei der Beerdigung.«
    »Ja, Drake.« Immer mehr hatte ich das Gefühl, mit einem Fremden zu reden.
    Luke kam sehr früh am Morgen, um mit mir zum Flugplatz zu fahren.
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