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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden
Autoren: V.C. Andrews
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Tante Fanny angerufen?«
    »Weil er sah, was hier vor sich ging, Drake. Er wußte einiges, was zu sehen du dich geweigert hast«, sagte ich, ohne meinen Ärger zu verbergen.
    Drake warf einen Blick auf Luke und wandte sich dann wieder an mich.
    »Nun… ich… ich habe das getan, was ich für das Beste hielt, das Beste für dich, Annie. Es tut mir leid«, sagte er zerknirscht.
    »Wir sollten diese Dinge jetzt ruhen lassen, Drake. Wir sind schließlich aus einem anderen Grund hier«, sagte ich mit fester Stimme.
    »Ja, natürlich.« Einer der Leichenbestatter winkte ihm, er solle kommen. »Dann bis nachher.«
    Er ging zurück zum Sarg. Meine Augen suchten überall nach Troy, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Wo war er?
    Meine Frage wurde beantwortet, als die Wagenkolonne sich vom Haus entfernte, und zum Familienfriedhof fuhr. Er war bereits dort und nahm allein Abschied von Tony. Sobald wir angekommen waren, kam er zu unserem Wagen. Seine dunklen, melancholischen Augen leuchteten auf, als er mich erblickte.
    Jetzt, da er einen schwarzen Anzug und Krawatte trug, konnte ich die Ähnlichkeit zwischen ihm und Tony viel deutlicher erkennen. Doch Tonys Augen waren immer strahlend und aufgeregt gewesen, voll Verwirrung und Traurigkeit. Troys Augen dagegen waren ruhig.
    »Hallo, Annie. Hattest du eine gute Reise?«
    »Ja, danke, Troy. Troy, das ist Luke.«
    »O ja«, Troy schüttelte ihm die Hand. Ich sah, wie sie einander in die Augen blickten, und spürte, daß sie einander sofort mochten. Mir wurde ganz warm ums Herz. Als ich die Tür öffnete, beeilten sie sich beide, mir beim Aussteigen zu helfen, aber Luke war schneller. Troy trat einen Schritt zurück und sah zu, wie mir Luke aus dem Wagen half.
    »Du brauchst jetzt also nur noch eine Krücke. Das ist ja wunderbar«, sagte Troy. »Wieviel doch zärtliche Liebe bewirken kann.«
    Luke, Troy und ich begaben uns zu den anderen. Ich sah, wie Troys Augen Lukes Hand folgten, als er die meine ergriff.
    Überhaupt war es sehr seltsam, wie Troy uns beobachtete.
    Immer wenn er uns ansah, schien sich seine Miene zu verdüstern. Schließlich nickte er kaum merklich und wandte sich ab, um den Worten des Pastors zu lauschen.
    Danach hielt Drake eine kurze Rede, lobte Tony als Pionier der Geschäftswelt, der neue Märkte eröffnet und die Produktion völlig umgestellt habe. Ich staunte, wie erfahren er wirkte und wie gut er sich anscheinend auskannte. Er wirkte um viele Jahre älter, und ich dachte, daß Tony ihn richtig eingeschätzt hatte: Drake hatte tatsächlich Führungsqualitäten.
    Der Geistliche bat die Anwesenden, nun das Lied anzustimmen, das auf den ausgeteilten Blättern abgedruckt war. Während des Gesangs wanderten meine Augen von Tonys Grabmal zu dem meiner Eltern. Gräber lassen alle Kämpfe, die das Leben mit sich bringt, bedeutungslos erscheinen, dachte ich. So viele Zwistigkeiten innerhalb meiner Familie waren hier begraben: Jillians Wahnsinn, Tonys Begierden und verwirrte Leidenschaften, die Flucht meiner Großmutter Leigh vor sich selbst, die enttäuschte und verlorene Liebe meiner Mutter… all dies hatte hier seine letzte Ruhe gefunden.
    Troy und ich tauschten einen langen Blick aus, und ich hatte das Gefühl, er wußte, daß ich verstand, warum er an jenem schicksalsträchtigen Tag hatte in den Ozean reiten wollen. Er blickte von mir zu Luke und dann wieder zurück. Sobald der Gesang zu Ende war und der Geistliche seine letzten Worte gesprochen hatte, wandte sich Troy Luke und mir zu.
    »Hättet ihr beide nicht Lust, ein wenig zu mir in meine Hütte zu kommen und etwas zu essen und zu trinken, bevor ihr euch wieder auf den Rückweg macht?«
    »Gerne«, sagte Luke, und ich nickte nur. Ich blickte mich suchend nach Drake um, aber er war gerade damit beschäftigt, Geschäftsfreunde zu begrüßen, Hände zu schütteln und über Dinge zu debattieren, die für die Zukunft anstanden. Er würde unsere Abwesenheit wohl kaum bemerken, dachte ich.
    Ich hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl, als wir den Weg hinter dem Friedhof zur Hütte hinunterfuhren. Es war, als wären wir alle auf ein winziges Format geschrumpft, als würden wir die Spielzeughütte betreten und Bewohner einer Spielzeugwelt werden – einer magischen Phantasiewelt, der Welt, in der Luke und ich so oft gelebt hatten. Troy, der meisterhafte Schöpfer der Tatterton-Spielzeugwelt, war unser Magier. Er würde uns mit seinem Zauberstab berühren und alles Häßliche und Traurige einfach wegzaubern.
    Luke
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