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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden
Autoren: V.C. Andrews
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Natürlich«, fuhr meine Mutter mit demselben sanften Lächeln auf den Lippen fort, »hatte sie ein Verjüngungsprogramm für ihr Gesicht, fuhr ständig zu Badekuren und kaufte alle möglichen geheimnisvollen Tinkturen. Wann immer sie nach draußen ging, trug sie breitkrempige Hüte, denn sie fürchtete, daß sie durch die Sonne Falten bekommen könnte. Ihre Haut ist auch tatsächlich glatt geblieben«, fügte sie hinzu.
    Ich hielt den Atem an, denn so ausführlich hatte sie noch nie über meine Urgroßmutter gesprochen, und ich wollte nicht, daß sie zu erzählen aufhörte. »Auch wenn sie zwanzig Jahre älter war als Tony, es fiel denen, die es nicht wußten, gar nicht auf. Sie verbrachte Stunden an ihrem Toilettetisch.«
    Sie machte eine Pause und schien für einen Augenblick ganz in ihren Erinnerungen versunken.
    »Wie dem auch sei«, sagte sie schließlich, »diesen Schmuck habe ich geerbt, und ich möchte, daß du ihn jetzt bekommst.«
    »Er ist so schön! Ich werde kaum wagen, ihn zu tragen.«
    »Du solltest keine Angst haben, schöne Dinge zu tragen und zu besitzen, Annie. Es gab einmal eine Zeit, da hat so etwas auch mir Angst gemacht. Ich fühlte mich schuldig, so viel zu besitzen, wenn ich daran dachte, wie arm meine Familie und ich in den Willies gewesen waren.« In ihren blauen Augen lag plötzlich eine unbeirrbare Entschlossenheit. »Aber ich habe schnell gelernt, daß die Reichen nicht mehr wert sind als die Armen, wenn es darum geht, die wertvollsten und schönsten Dinge zu genießen, die dieses Leben zu bieten hat. Glaube nie, daß du besser bist als die anderen, weil du in einer privilegierten Umgebung aufgewachsen bist«, fuhr sie mit einer Heftigkeit fort, die verriet, daß sie an ihre eigenen schmerzvollen Erfahrungen dachte. »Die Reichen werden oft von ebenso niederen Motiven getrieben wie die Ausgestoßenen und die Armen. Vielleicht sogar noch mehr als die Armen«, fügte sie hinzu, »denn sie haben mehr Muße, sich in ihre Verrücktheiten zu verrennen.«
    »Hast du das in Farthinggale gelernt?« fragte ich behutsam und hoffte, daß sie mir heute endlich all die dunklen Geheimnisse enthüllen würde.
    »Ja«, murmelte sie. Ich wartete atemlos darauf, daß sie mir mehr erzählen würde, aber dann schlug in ihr irgendeine Tür zu, und sie tauchte plötzlich wieder aus dem Strudel der Erinnerungen auf. Ihre Augen wurden noch größer und strahlender, als würde sie gerade aus einer Hypnose erwachen.
    »Aber laß uns nicht über so unangenehme Dinge reden. Nicht ausgerechnet an diesem Tag, mein Liebling.« Sie beugte sich zu mir herüber und küßte mich auf die Wange; dann legte sie das Diamantkollier und die Ohrringe in meine Hände. »Es ist Zeit, daß ich sie an dich weitergebe. Natürlich könnte es sein, daß ich dich von Zeit zu Zeit bitte, sie mir zu borgen.«
    Wir lachten beide, und sie nahm mich in den Arm.
    »Ich bringe sie nur rasch in mein Zimmer, und dann gehe ich nach unten«, sagte ich, als ich mich aus ihrer Umarmung löste.
    »Ich möchte mit Luke eine Probefahrt in meinem neuen Auto machen.«
    »Vergiß Drake nicht. Er freut sich darauf, Annie.« Mutter lag immer sehr an meiner Verbundenheit mit Drake.
    »Aber es gibt doch nur zwei Sitze«, rief ich bestürzt aus. Ich würde zwischen den beiden wählen müssen und in Gefahr laufen, dabei die Gefühle eines der beiden zu verletzen.
    »Drake ist extra wegen deines Geburtstags den weiten Weg vom College hierhergekommen, Annie. Er hat diese Anstrengung für dich auf sich genommen. Luke ist immer hier, und du verbringst ohnehin zuviel Zeit mit ihm. Mir ist aufgefallen, daß du schon seit Monaten keine Verabredung mehr hattest. Die anderen Jungen in der Stadt fühlen sich mittlerweile sicher entmutigt.«
    »Die Jungen in meiner Klasse sind dumm und unreif. Alles, was sie interessiert, ist, irgendwo hinzugehen und sich zu betrinken, um so ihre Männlichkeit zu beweisen. Mit Luke kann ich wenigstens ein intelligentes Gespräch führen«, wandte ich ein und bemerkte, daß ich fast weinte.
    »Trotzdem, Annie«, sagte sie und schlug die Augen nieder,
    »es ist nicht gesund.« Ihre Worte prasselten auf mich nieder wie kalte Regentropfen, denn ich wußte, daß sie recht hatte.
    Ich nickte und versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen.
    »Er tut mir leid.«
    »Ich weiß, aber bald wird er auch aufs College gehen und sein eigenes Leben beginnen, und du wirst durch Europa reisen und andere Leute kennenlernen. Außerdem hat seine
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