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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre
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sanften Erstaunens die Arme leicht ausbreiten. »Ich bin die Nachtmähre Imbrium, die man kurz auch einfach Imbri nennt.«
    »Eine Nachtmähre!« rief er. »Euch nennt man doch auch Nachtmahre, nicht wahr? Ja, euch bin ich oft im Traum begegnet. Aber ich dachte immer, daß ihr bei hellem Tageslicht nicht umherschweifen könntet.«
    »Ich bin eine Ausnahmegenehmigung, weil ich einen Auftrag zu erfüllen habe«, sagte sie. »Aber ich kann mich an meine Mission nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, daß ich wohl den Regenbogen sehen wollte.«
    »Ach ja, der Regenbogen!« rief der Mann. »Ja, das ist ein lohnendes Ziel, Mähre! Ich habe ihn schon oft gesehen und mußte jedesmal aufs neue staunen.«
    »Wo ist er denn?« fragte sie eifrig. »Ich weiß zwar, daß mein Schatten immer in seine Richtung zeigt, aber…«
    »Wenn man den Regenbogen herbeirufen will, braucht man Sonne und Regen«, erwiderte der Mann.
    »Aber löschen die Wolken die Sonne bei Regen nicht aus? Da kann es doch beide zusammen nie auf einmal geben!«
    »Doch, aber das ist selten. Der Regenbogen ist ziemlich wählerisch, wo er sich zeigt. Er will nämlich magisch bleiben und nicht zu etwas Gewöhnlich-Mundanem werden. Du wirst ihn heute wohl nicht sehen, denn es gibt nirgends Regen.«
    »Dann werde ich wohl lieber grasen gehen«, meinte sie enttäuscht.
    »Ja, das tut mein Hengst jetzt wohl auch gerade, obwohl ich ihn gut füttere«, sagte der Mann. »Er hat einen schier unersättlichen Appetit. Manchmal glaube ich, daß er Heu einfach zu Pferdeäpfeln verarbeitet, ohne es überhaupt vorher verdaut zu haben. Wenn man ihn sich selbst überläßt, schaufelt er maßlos in sich hinein. Aber er ist ein gutes Pferd. Wo kann er nur hin sein? An mir ist er nicht vorbeigelaufen, und ich bin ständig ostwärts gegangen, bis ich dein Hufgetrappel gehört habe.«
    Imbri musterte den Boden. Es waren Hufspuren zu sehen, die in den Paß führten. »Anscheinend hat er den Weg über den Paß genommen«, projizierte sie.
    Die Augen des Mannes folgten Imbris Blick. »Ja, jetzt sehe ich seine Spur auch. Das wird’s sein. Wenn ich nur ein bißchen schneller gewesen wäre, hätte ich ihn wohl noch eingefangen.« Er hielt inne und blickte zu Imbri herüber. »Mähre, das mag ja jetzt vielleicht etwas viel verlangt sein, aber ich bin nun einmal nicht sonderlich gut zu Fuß. Würdest du mich wohl durch die Berge mitnehmen? Ich versichere dir, daß ich lediglich meinen fortgelaufenen Hengst suche. Sobald ich ihn entdeckt habe und ihn anrufe, wird er zu mir kommen. Er ist wirklich ein recht gehorsames Reittier, und er ist es auch nicht gewöhnt, allein zu sein. Möglicherweise sucht er sogar schon nach mir und hat sich verirrt; er ist nämlich nicht so intelligent wie du.«
    Imbri zögerte. Sie war früher schon mal geritten worden, aber sie zog ihre Freiheit vor. Andererseits würde sie dem Tagpferd gern noch einmal begegnen, und wenn sie sowieso den gleichen Reiseweg hatte wie der Mann…
    »Oder wenn du vielleicht zu mir nach Hause mitkommen möchtest«, fuhr der Mann in eindringlichem Ton fort, »dort habe ich nämlich reichlich Getreide und Heu, das ich für mein Pferd dort gelagert habe. Mein Hengst ist mundanischer Herkunft, weißt du; was ihm an Klugheit fehlt, das macht er durch Schnelligkeit und Kraft reichlich wieder wett. Aber er ist sehr scheu und sanft, es ist keinerlei Arg in ihm. Ich fürchte, es wird ihm etwas zustoßen, so ganz allein in diesem magischen Land.«
    Mundanischer Herkunft. Das erklärte die Anwesenheit des Pferds. Manche mundanischen Tiere wanderten tatsächlich in Xanth ein, meist ganz ungewollt. Natürlich war es für sie hier nicht ganz ungefährlich. »Ich nehme dich durch den Paß mit«, projizierte sie.
    »Ausgezeichnet«, sagte der Mann. »Und als Gegenleistung zeige ich dir einen Regenbogen, sobald es nur geht.« Er näherte sich mit sanfter, beruhigender Stimme. Sie stand reglos da und war etwas nervös, denn normalerweise konnte kein waches Lebewesen eine Nachtmähre berühren. Doch sie erinnerte sich selbst mit Bestimmtheit daran, daß sie ja nun ein Geschöpf des Tages und somit berührbar war.
    Der Mann sprang auf ihren Rücken. Seine Stiefel hingen zu ihren Seiten herab, um ihren Leib geschlungen, und mit den Händen ergriff er ihre Mähne. Er hatte Erfahrung mit dem Reiten von Pferden, das merkte man auch an seinem Gleichgewichtssinn und an seinem Selbstvertrauen.
    So machten sie sich auf den Weg durch den Paß, wobei der Mann so
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