Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre
Autoren:
Vom Netzwerk:
Schatten eines Wesens war, der auf den Regenbogen zeigte. Das war einer der besonderen Aspekte der Magie Xanths, ein geheimes Signal. Doch das Sonnenlicht mußte einen dafür bestrahlen, sonst gab es keinen Schatten; es hieß, daß die Schatten in diesem Punkt äußerst streng waren und keinerlei Kompromisse eingingen.
    Die Mähre Imbri blieb stehen und sah zu, wie die schrecklichen Strahlen der aufgehenden Sonne grausam den Morgennebel durchstachen. Einer von ihnen schoß mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu und traf sein Ziel, bevor sie überhaupt reagieren konnte.
    Sie überlebte ihn! Dort, wo er auftraf, begann lediglich ihr Fell zu schimmern. Der Schutzzauber hielt!
    Sie hatte dem schrecklichen Licht der Sonne widerstanden. Nun war sie eine Tagmähre.
    Plötzlich fühlte sie eine gewaltige Erleichterung. Wie gut, daß ihr Vertrauen in den Nachthengst gerechtfertigt gewesen war!
    Sie machte einen Schritt nach vorn und spürte die Festigkeit ihrer Beine und des Bodens und die Elastizität der Luft, welche sie einatmete. Sie war nicht nur unversehrt, sie schien sogar zweimal so wirklich zu sein als zuvor. Zum ersten Mal wurde sie sich ihres eigenen Körpergewichts bewußt, spürte sie die Pflanzen, die ihre Haut berührten, und das leise Wehen einer zargenden Brise in ihrer Mähne.
    AUA!
    Sie quiekte protestierend und ließ ihren Schweif auf ihre eigene Flanke peitschen. Eine Fliege summte davon. Das Biest hatte sie gebissen!
    Jetzt war sie wirklich zu einem Tagwesen geworden! Keine Fliege konnte eine echte Nachtmähre beißen. In der Nacht gab es nur wenige Fliegen, und die Mähren waren nur dann stofflich und fest, wenn sie es wünschten. Jetzt war sie anscheinend fest und bißecht – ohne sich deswegen Mühe geben zu müssen. Sie mußte aufpassen. Es machte keinen sonderlichen Spaß, wenn Insekten auf einem herumkauten. Zum Glück besaß sie einen prima Schweif, mit dem würde sie sich die kleinen Biester vom Leibe halten.
    Diese Festigkeit hatte auch etwas Schönes an sich. Jetzt umschmeichelten die Sonnenstrahlen ihre ganze Flanke und erwärmten sie. Die Hitze fühlte sich auf merkwürdige Weise wohlig an. Sie war lebendiger denn je. Stofflich zu sein, das war ja etwas geradezu Entzückendes! Wer hätte das gedacht?
    Sie schritt davon, dann verfiel sie in einen Trott, und schließlich machte sie hohe Freudensprünge, immer höher und höher…
    Da schlug sie etwas mitten in der Luft nieder. Sie stürzte zu Boden, und grelle Sterne und Planeten jagten in ihrem benebelten Kopf umher. Die hatten sie aber schnell gefunden! Was war nur geschehen?
    Als sie ihr Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, von einer Schramme am Kopf abgesehen, mußte Imbri feststellen, daß nichts sie niedergestreckt hatte – sie war vielmehr ihrerseits gegen etwas gestoßen, nämlich in einen Granatapfelbaum, dessen Granatfrüchte sofort heruntergepurzelt waren. Ein Glück, daß die Granaten noch nicht reif gewesen waren!
    Jetzt begriff sie einen weiteren Nachteil, den das Stofflichsein mit sich brachte:
    Sie hatte nicht darauf geachtet, wohin sie ging oder sprang, weil sie meistens ganz automatisch durch alle Gegenstände hindurchglitt. Als Tagmähre konnte sie das natürlich nicht mehr tun. Wenn etwas Festes auf etwas Festes traf, gab es einen ganz brutalen Knall!
    Danach bewegte sie sich etwas vorsichtiger und achtete darauf, nicht gegen irgendwelche Bäume zu laufen.
    Es ging doch nichts über einen Schlag auf die Schnauze, wenn man Vorsicht lernen wollte!
    Obwohl etwas gedämpft, blieb ihr Frohsinn ihr unvermindert treu; er hatte lediglich nicht mehr so viele körperliche Möglichkeiten, sich auszudrücken, und so suchte er sich unstoffliche Wege, indem er ihren Leib durchströmte und erfüllte.
    Aber es wurde Zeit, ihrem Auftrag nachzukommen. Imbri orientierte sich –
    Und mußte feststellen, daß sie völlig vergessen hatte, welchen Auftrag sie erledigen sollte.
    Das mußte an dem Schlag auf den Kopf gelegen haben. Sie wußte wohl, daß sie eine zur Tagmähre gewordene Nachtmähre war und daß sie irgend jemanden aufsuchen sollte, um ihm eine Nachricht zu übermitteln – doch wer das war und was sie sagen sollte, bekam sie einfach nicht mehr zusammen.
    Sie war verloren:
    Sie wußte weder, wohin sie gehen sollte, noch was man von ihr verlangte – obwohl ihr klar war, daß die Angelegenheit keinen Aufschub duldete und daß der Feind nicht erfahren durfte, was ihre Aufgabe war.
    Imbri konzentrierte sich.
    Da war noch etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher