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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre
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vorbereitet.
    »Du kannst etwas anderes lernen. Es gibt ja auch Tagträume…«
    »Tagträume!« wiederholte sie verächtlich.
    »Ich glaube, du hast eine Neigung dazu.«
    »Eine Neigung?« Sie war wie vor den Kopf gestoßen. »Ich habe nie…«
    »Vor kurzem bist du von einer Klientin eingefangen und geritten worden!« sagte er in festem Ton. »Keine Nachtmähre läßt sich einfangen, wenn sie nicht stillschweigend darin einwilligt.«
    »Aber…«
    »Und warum hast du es zugelassen, von einer Klientin geritten zu werden?« Der König hob eine Hand, um ihren Protest im Keim zu ersticken. »Ich werde es dir sagen. Du hast einmal, im Gedächtnis eines anderen Klienten aus viel früherer Zeit, das Bild eines Regenbogens erblickt. Diese Vision hat dich fasziniert; du wolltest selber einen richtigen Regenbogen sehen. Doch du wußtest, daß dir das als Nachtmähre niemals möglich wäre, weil der Regenbogen die Nacht meidet. Er ist eine Tagerscheinung.«
    »Ja…« stimmte sie ihm zu, als sie erkannte, daß er im Recht war. Die Vision von dem bunten Regenbogen hatte sie jahrelang heimgesucht. Doch keine Nachtmähre konnte tagsüber hinaus: Die Strahlen der Sonne ließen ihre Art schnell verblassen. Deshalb war es schon immer ein hoffnungsloser Wunsch gewesen, und es war völlig närrisch von ihr gewesen, sich davon überhaupt erst ablenken zu lassen.
    »Wie die Sache nun steht, bist du zufällig auch im Besitz einer halben Seele«, fuhr der Hengst fort. »Du hast einen Oger aus dem Randgebiet des Nichts getragen und als Lohn die Halbseele einer Zentaurin angenommen, obwohl du in Wirklichkeit bloß eine Gelegenheit haben wolltest, mal einen Regenbogen zu sehen. Die Logik war noch nie die starke Seite der weiblichen Wesen.«
    Sie konnte sich gut daran erinnern. Der Oger hatte ihr zwar als Gegenleistung einen Gefallen tun wollen, aber sie hatte es für unschicklich gehalten, sich mit Hilfe von Träumchen mit ihm zu unterhalten; doch auf andere Weise hatte sie ihm ihr Interesse an dem Regenbogen ebenfalls nicht klarmachen können. Für einen Oger und einen Mann war er recht anständig gewesen. Diese beiden Aspekte überlappten sich bei ihm bezeichnenderweise…
    »Nun hat diese Seele«, fuhr der Traumkönig fort, »dich deines Schliffs beraubt und dich in deiner Traumarbeit beeinträchtigt. Es ist schwierig, richtig brutal zu sein, wenn man eine Seele hat; das widerspricht nun einmal dem Wesen der Seelen.«
    »Aber es ist doch bloß eine halbe Seele«, protestierte Imbri. »Eher ein Seelchen. Ich dachte, das würde schon keinen Schaden anrichten.«
    »Jedes bißchen Seele kann hier Schaden anrichten«, erwiderte er. »Bist du bereit, sie jetzt preiszugeben?«
    »Meine Seele preisgeben?« fragte sie. Aus irgendeinem völlig unerklärlichen Grund erfüllte sie dieser Gedanke mit Entsetzen.
    »Wie du weißt, liefern die meisten Mähren, die sich halbe Seelen verdient haben, diese zur Aufbewahrung bei mir ab, damit sie ihren Schliff nicht verlieren, und dafür erhalten sie dann einen Zusatzbonus für außerordentliche geleistete Dienste. Seelen sind äußerst wertvolle Handelswaren, und wir häufen so viele von ihnen an, wie wir nur können. Du bist die einzige gewesen, die ihren Seelenanteil behalten und die Vorteile einer Ablieferung nicht in Anspruch nehmen wollte. Warum?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Imbri beschämt.
    »Aber ich weiß es«, meinte Trojan. »Du bist ein nettes Wesen, und im Laufe der Jahrzehnte bist du noch netter geworden. Es macht dir keine wirkliche Freude, Leuten Schmerz und Leid zu bereiten. Die Seele verstärkt diese Schwäche nur noch!«
    »Ja…« pflichtete sie ihm traurig bei. Sie war sich bewußt, daß sie damit eine geheime Schuld eingestand, die sie tatsächlich als Trägerin schlimmer Träume völlig untauglich machen konnte. »Ich bin auf Abwege geraten.«
    »Das ist nicht unbedingt etwas Schlimmes.«
    Sie spitzte die Ohren. »Das ist nicht schlimm?«
    »Es hängt mit deinem Schicksal zusammen. Eines Tages wird dir dein Schicksal ermöglichen, den Regenbogen zu sehen.«
    »Den Regenbogen!«
    »Du bist eine gezeichnete Mähre, Imbrium, und du wirst Xanth einmal selbst dein Zeichen aufdrücken. Diese Zeit ist nahe.«
    Imbri starrte ihn an. Der Nachthengst wußte mehr als jedes andere Wesen im Reich der Nacht, doch er gab sein Wissen nur selten preis. Sicherlich hatte er recht – aber sie wagte nicht, ihn direkt zu fragen.
    »Imbrium, ich versetze dich in den Tagmährendienst. Eine
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