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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre
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– ach ja, der Regenbogen!
    Sie war gekommen, um den Regenbogen zu sehen. Das mußte ihre Mission sein – obwohl sie keinerlei Vorstellung davon hatte, wo sich der Regenbogen im Augenblick befinden mochte und was sie ihm mitteilen sollte und warum dies für das Wohlergehen Xanths von solch wichtiger Bedeutung war, und – nein, diese Dinge blieben undurchschaubar.
    Na ja, sie mußte eben einfach danach suchen. Irgendwann würde sie schon auf den Regenbogen treffen, und dann würde ihr vielleicht auch wieder offenbar, welchem Ziel ihre Mission diente.

2
Tagpferd
    Die Mähre Imbri hatte Hunger. Im Kürbis hatte es stets genügend Weideland gegeben, doch anscheinend hatte sie in der Nacht zuvor nicht genug auf Vorrat vertilgt, um den verstärkten Anforderungen der wirklichen Welt zu entsprechen. Nun mußte sie grasen – und wußte nicht einmal, wo sie hier im Xanth des Tages eine halbwegs vernünftige Weide finden konnte.
    Sie ließ ihren Blick umherschweifen. Sie befand sich im tiefsten Urwald. Trockenes Laub bedeckte den Waldboden; hier gab es nur spärliche Grashalme, und die waren auch noch aus Drahtgras – metallen und ungenießbar. Natürlich kannte sie diese Gegend, weil sie im Alptraumdienst ja das gesamte Xanth bereist hatte, doch jetzt, bei Tageslicht betrachtet, sah hier alles ganz anders aus; und nun, da sie stofflich geworden war, fühlte sich auch alles ganz anders an. Noch nie hatte sie sich früher Gedanken darüber gemacht, wie gut es sich hier wohl weiden ließ.
    Na ja, immerhin war sie nicht allzu weit von Schloß Roogna, der Hauptstadt der Menschen, entfernt. Sie erinnerte sich, daß es nördlich von hier eine große Lichtung gab, auf der sich ausgezeichnetes Weidegras finden lassen müßte. Problematisch war daran nur, daß dazwischen ein kleinerer Gebirgszug lag; in ihrem gegenwärtigen feststofflichen Zustand war es höchst mühsam und gefährlich für sie, den erklimmen zu wollen.
    Beim Schloß jedoch gab es gutes, fettes Weideland. Allerdings war sie selten dort gewesen, weil die Alpträume der königlichen Familie in der Regel von älteren Nachtmähren befördert wurden, die schon mindestens dreihundert Jahre oder noch länger im Geschäft waren. Imbri würde in dieser Gegend mit Sicherheit einige Fehler begehen, und das wollte sie möglichst vermeiden.
    Doch sie erinnerte sich an einen Paß, der durch die Berge führte; er war zwar kaum bekannt, für eine Überquerung jedoch völlig geeignet. Er hatte eine ganz interessante Geschichte –
    Gedankenverloren blieb sie stehen. Da vorn war ja doch eine Stelle mit frischem, saftiggrünem Gras! Dann konnte sie ja doch hier weiden! Sie trabte darauf zu und senkte den Kopf. Das Gras streckte sich nach ihr aus und krallte sich in ihre empfindlichen Nüstern und Lippen.
    Imbri wich mit einem Satz zurück, wobei sich ihre Nase einige Kratzer zuzog, als sie sich frei riß. Das war ja fleischfressendes Gras! Dem durfte sie sich nicht mehr nähern, sonst würde sie noch selbst abgegrast werden!
    Nein, es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Berge zu überqueren. Im Trab machte sie sich auf den Weg gen Norden. Weil sie um ihre Gefährlichkeit wußte, ging sie Gewirrbäumen, Würgschlingen, Drachennestern, Greifen, Basilisken, Nickelfüßlern und ähnlichem Getier sorgfältig aus dem Weg. Immerhin hatte sie derartige Gefahren oft genug in Träume eingebaut, um ihre Wirkung zu kennen. Schon bald hatte sie die Berge erreicht.
    So, jetzt mußte sie den Paß ausfindig machen. Er lag etwas westlich, wenn sie sich richtig erinnerte. Sie trabte in diese Richtung davon. Zwar war sie mit der ungefähren Geographie vertraut, aber die Einzelheiten waren ihr doch nicht besonders gut bekannt, da ihr alle materiellen Dinge, die nicht im Zusammenhang mit ihren Klienten gestanden hatten, früher als unwichtig erschienen waren.
    Irgend etwas kam auf sie zu. Sie fürchtete sich zwar nicht, wollte aber auch nicht unvorsichtig sein. Sie wußte, daß sie inzwischen für Ungeheuer angreifbar geworden war, aber sie war sich auch sicher, daß sie den meisten mühelos entkommen konnte. Nur wenige Wesen waren schneller als eine Nachtmähre, die es eilig hatte! Andererseits mußte man ja auf so viele Dinge gleichzeitig achten, wenn man einen feststofflichen Körper hatte.
    Die Wirklichkeit stellte sich als angenehme Überraschung heraus: ein prächtiges weißes Pferd, das ostwärts dahintrabte. Es war ein Hengst, und er hatte eine wunderschöne weiße Mähne, einen hübschen
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