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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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weg und zog sich das Dinnerkleid alleine aus. Sie schnürte das Korsett auf, das sich nach der Zeit der Ungezwungenheit wie ein Schraubstock anfühlte, und schlüpfte in eines ihrer Reisekleider, dessen Rückenverschluss sie nach einem langen und frustrierenden Kampf mit den Knöpfen schließlich zubekam. Und dann konnte sie nur noch die Lampe ausblasen, sich unter einen Berg aus Decken auf den Diwan legen und warten.
    Sie war sicher, dass sie nicht würde schlafen können, aber einen Augenblick schien sie dann doch weggedöst zu sein, denn den einen Moment hatte sie durch das Fenster noch einen sternenbedeckten Himmel angestarrt und im nächsten türmte sich auch schon der Schatten eines Mannes über ihr auf.
    Es war nicht Dumitru. Den winzigsten Bruchteil einer Sekunde dachte sie, er sei es, doch der Umriss war fremd, und ihr Verstand verwarf die Idee, kaum dass sie gedacht war.
    »Beeilen Sie sich, Eure Ladyschaft«, sagte der Mann in
leicht gebrochenem Englisch. Sir Edward war es also auch nicht.
    Sie schlüpfte unter den Decken heraus und stand auf. Dann warf sie den Schleier über, legte das Schultertuch um und griff nach ihren Schuhen. Der Mann bewegte sich lautlos durchs Zimmer, und Alcy entschied, die Schuhe nicht anzuziehen. Der Steinboden zwischen den Teppichen war so bitterkalt unter den Strümpfen, dass ihre Füße sich verkrampften und ihre Zehen sich einrollten, was sie allerdings ignorierte.
    Der Mann führte sie aus dem Zimmer. Auf verschlungenen Wegen ging es durch die Gänge – schon zum zweiten Mal heute. Die Zimmer, die bei Tageslicht und im Schein der Lampen so prächtig ausgesehen hatten, waren jetzt Furcht einflößend. Die verwinkelten Räume schienen mit einem Mal hundert Späher zu verbergen. Alcys Magen schmerzte vor Kälte und Angst, und sie blieb dicht hinter ihrem Führer. Schließlich schob der Mann eine Tür auf, und Alcy fand sich auf dem Hof wieder, wo nur ein paar Schritte entfernt eine Sänfte wartete, die von uniformierten Palastwachen umstanden war.
    »Kommen Sie«, flüsterte der Mann, »und sagen Sie nichts. Sie sind jetzt eine Sultanin, die in Begleitung ihre sterbende Schwester besucht.«
    Alcy gehorchte und wickelte sich fester in den Schleier, sodass nur noch ihre Augen und ihre Stirn zu sehen waren, bevor sie aus dem Schatten des Torbogens ins Mondlicht trat. Der Mann öffnete die Tür der Sänfte, und sie stieg ein. Eine einzige Polsterbank, kaum breit genug für zwei Personen, füllte die Rückwand der kleinen Kabine aus und ließ gerade Platz für die Tür. Das winzige Kabuff hatte an
allen vier Seiten Fenster, doch sie waren allesamt dicht verhängt. Der Mann schloss die Tür. Alcy setzte sich mit vor Angst flatterndem Herzen. Dann ging es ohne Vorwarnung nach oben, und es wackelte etwas, als die Träger die langen Stangen auf die Schultern nahmen.
    Alcy hörte, wie der Mann in der Sprache der Osmanen Anordnungen erteilte. Dann setzte sich die Sänfte vorwärts in Bewegung und schwankte mit jedem Schritt der Träger. Sie wagte nicht hinauszusehen, wagte nicht zu atmen. Sie hielt sich einfach nur möglichst still, als könne sie die Sänfte durch bloße Willenskraft lautlos und unsichtbar machen.
    Sie blieben stehen, und Alcy spürte, wie die Sänfte sich senkte. Als sie ängstlich einen der Vorhänge zurückzog, sah sie ihren Führer in einem anderen mit Gras bewachsenen Innenhof geduldig neben den Trägern stehen. Auch jetzt konnte sie wieder nur warten.
     
    Dumitru schlief nicht. Er rang eine Weile lang mit sich, ob er das Essen zu sich nehmen sollte. Alcys Nachricht bewies lediglich, dass sie es hatte bringen lassen, aber nicht, dass es auch in Ordnung war. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass er ohnehin schlucken musste, was auch immer die Osmanen ihm an Gift oder Drogen verabreichen würden, und so entschied er, das Mahl zu genießen, selbst wenn es womöglich sein letztes war.
    Alcy hatte ihn in die Lage versetzt, seinem Leben ein Ende zu bereiten, allerdings mit dieser rätselhaften Anweisung: Benutze es, so du musst . Benutze es – so du musst. Und wann musste er? Bevor die Folterknechte kamen und ihm das Messer wegnahmen? Nachdem sie seine Füße zerquetscht
hatten, aber bevor sie ihm die Hände zermalmten? Wenn der Schmerz einsetzte oder wenn er unerträglich wurde?
    So du musst.
    So närrisch, wie diese Frau war, glaubte sie womöglich, dass er es überhaupt nicht brauchen würde?
    Es waren wieder Schritte zu hören, bestürzend klar in der Stille des
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