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Nacht der Hexen

Titel: Nacht der Hexen
Autoren: Kelley Armstrong
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trotz der geringen Entfernung arbeiteten die Leute von East Falls nicht in Boston, sie fuhren nicht zum Einkaufen nach Boston, sie gingen nicht mal nach Boston ins Theater oder Konzert. Die Leute von East Falls mochten ihre kleinstädtische Lebensweise und wehrten sich mit Zähnen und Klauen gegen alle Einflüsse aus der großen bösen Stadt im Süden.
    Ebenso entschieden wehrten sie sich gegen Invasionen eines anderen Typs. In diesem Teil von Massachusetts wimmelt es von wunderschönen alten Dörfern voller Prachtexemplare der neuenglischen Architektur. East Falls stand unter ihnen ganz weit oben. Im Ortskern gab es kein Gebäude, das jünger gewesen wäre als zweihundert Jahre und das nicht makellosgepflegt gewesen wäre, so wie es die örtlichen Vorschriften verlangten. Trotzdem bekam man in East Falls kaum jemals einen Touristen zu sehen. Die Stadt verzichtete nicht einfach nur darauf, den Tourismus zu ermutigen; sie tat ganz aktiv ihr Möglichstes, um ihn zu verhindern. Niemand durfte innerhalb der Stadt ein Hotel, ein Restaurant oder eine Pension neu eröffnen – oder auch nur einen Laden, der Touristen hätte anziehen können. East Falls war einzig und allein für die Einwohner von East Falls bestimmt. Hier lebten sie, hier arbeiteten sie, hier verbrachten sie ihre Freizeit, und außer ihnen selbst war hier niemand sonderlich willkommen.
    Vor vierhundert Jahren, als der Zirkel sich hier niederließ, war East Falls ein Nest in Massachusetts, in dem religiöse Vorurteile, Kleinlichkeit und moralische Selbstgerechtigkeit herrschten. Heute ist East Falls ein Nest in Massachusetts, in dem religiöse Vorurteile, Kleinlichkeit und moralische Selbstgerechtigkeit herrschen. Während der neuenglischen Hexenjagden hat man hier Hexen umgebracht – fünf unschuldige Frauen und drei Zirkelhexen, unter ihnen eine meiner Vorfahren. Warum ist der Zirkel also immer noch hier? Ich wünschte, ich wüsste es.
    Nicht alle Zirkelhexen lebten in East Falls. Die meisten, darunter auch meine Mutter, waren näher an Boston herangezogen. Kurz nach meiner Geburt hatte meine Mutter ein kleines zweistöckiges viktorianisches Haus auf einem riesigen Eckgrundstück in einem alten Vorort von Boston gekauft, einer wunderbaren Wohngegend, in der die Leute enge nachbarschaftliche Kontakte pflegten. Nach ihrem Tod hatten die Ältesten darauf bestanden, dass ich nach East Falls zurückkam. Es war eine der Bedingungen dafür gewesen, dass sie mich das Sorgerecht für Savannah übernehmen ließen – siewollten mich in Reichweite haben, damit sie ein Auge auf uns haben konnten. Damals war ich von meinem Kummer so überwältigt gewesen, dass ich in der Sache nicht mehr klar sah; ich hatte wirklich geglaubt, sie versuchten mir mit ihrer Forderung eine Entschuldigung dafür zu liefern, meine schmerzlichen Erinnerungen hinter mir zu lassen. Zweiundzwanzig Jahre lang hatte ich mit meiner Mutter in diesem Haus gelebt. Nach ihrem Tod hatte ich jedes Mal, wenn ich einen Schritt, eine Stimme, das Zufallen einer Tür hörte, gedacht
Es ist bloß Mom;
dann erinnerte ich mich daran, dass sie es nicht war und nie wieder sein würde. Als die Ältesten mir also sagten, ich sollte das Haus verkaufen, hatte ich es getan. Inzwischen bereute ich meine Nachgiebigkeit – bereute sowohl, dass ich mich ihren Forderungen gefügt hatte, als auch, dass ich ein Haus aufgegeben hatte, das mir so viel bedeutete.

    Leahs Anwalt wollte das Treffen in der Kanzlei Cary in East Falls abhalten. Das war nicht weiter ungewöhnlich. Die Carys waren die einzigen Anwälte am Ort und pflegten auswärtigen Juristen gegen eine bescheidene Summe ihren Konferenzraum zur Verfügung zu stellen – eine für die Carys typische Kombination von kleinstädtischer Gastfreundlichkeit und großstädtischer Geschäftstüchtigkeit.
    Die Carys von East Falls waren seit Menschengedenken Anwälte gewesen. Es ging das Gerücht, dass sie sogar schon zur Zeit der Hexenprozesse praktiziert hatten, obwohl die Klatschmäuler sich nicht darüber einigen konnten, welche Partei die Carys damals vertreten hatten.
    Im Augenblick bestand die Kanzlei nur aus zwei Anwälten, Grantham Cary und Grantham Cary junior. Mein einzigerRechtsakt in East Falls war das Unterzeichnen der Eigentumsurkunde meines Hauses gewesen, das Grant junior betreut hatte. Nach unserem ersten Treffen hatte er mich noch auf etwas zu trinken eingeladen, was so übel nicht gewesen wäre, wenn seine Frau nicht zur gleichen Zeit an der Empfangstheke
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