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Nacht der Dämonen

Titel: Nacht der Dämonen
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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sondern weil sie nur einen Stiefel trug.
    »Lehn dich an die Wand!« befahl sie Tiamu. »Versuch nicht zu fliehen.«
    Ärger stieg in Tiamu auf, der ein wenig ihre Furcht verdrängte.
    »Sprich nicht so zu mir!« rief sie. »Ich kam hierher, um dir zu helfen! Ich hätte fliehen können, hätte ich es gewollt!«
    »Ja.« Sonjas bisher drohende Miene wurde weicher. »Ja, das stimmt.«
    Sie lehnte sich gegen die offene Steintür, ließ ihren Stiefel auf den Boden fallen und schlüpfte hinein. Dann holte sie sich ihren Schwertgürtel zurück, der in der Nähe an der Wand hing, und schnallte ihn sich um. Ihren blutigen Dolch wischte sie am Wams des Wächters ab und schob ihn geschickt zurück in den Stiefel, den sie gerade angezogen hatte. Er war dort so gut versteckt, dass man ihn nicht gefunden hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte Sonja zu dem Mädchen. »Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, dir etwas anzutun, verstehst du?«
    Tiamu nickte.
    »Es wäre mir auch lieber gewesen, ich hätte diesen Wächter nicht töten müssen, aber ich hatte keine Wahl, ich will ja nicht in diesem Kerker verrotten. Wie, sagtest du zu dem Mann, ist dein Name?«
    »Tiamu.«
    »Welche Stunde haben wir, Tiamu? Ist es Tag oder Nacht?«
    »Nachmittag …«
    »Erlik! Dann war ich einen ganzen Tag und eine Nacht in diesem Loch! Kennst du dich im Palast aus, Tiamu?«
    »J-ja …« Das Mädchen nickte aufgeregt.
    »Gut, denn ich möchte, dass du mir hilfst zu entkommen. Verstehst du? Ich kann nicht geradewegs durch den Palast gehen – schon gar nicht am helllichten Tag. Weißt du, wohin dieser Korridor führt?«
    »Ja.«
    »Tiamu …« Sonjas Stimme klang weich. »Du hast gesagt, du seist gekommen, mir zu helfen. Ist das wahr?«
    »Ja-ja«, stammelte das Mädchen. »Aber – bitte, frag mich nicht, warum. Bitte.«
    »Beruhige dich.« Sonja kam mit einem Halblächeln auf sie zu. »Ich bin kein Ungeheuer, Tiamu, und ich werde dir wirklich nichts tun. Versetz dich doch einmal kurz in meine Lage, ja? Ich kam in eure Stadt, wurde von euren Soldaten verspottet, und als ich versuchte mich zu verteidigen, warf man mich in den Kerker. Ich ersuchte lediglich um Gastfreundlichkeit, um danach weiter meines Weges zu ziehen.
    Verstehst du? Auch ich habe Angst. Feinde verfolgten mich und spürten mich hier auf. Nun haben sie sich mit Hefei und ihrem Priester Mophis gegen mich verschworen. Ich kann nicht vernünftig mit ihnen reden, deshalb muss ich fort von hier. Willst du mir helfen?«
    Tiamu blickte in die saphirblauen Augen der Rothaarigen. Sie las Besorgnis in ihnen, Klugheit und Ehrlichkeit. »Ja«, antwortete sie immer noch zitternd, während sie dachte: Ich helfe ihr hinaus – sie wird auf das Erdvolk stoßen – sie ist stark genug, es besiegen zu können – deshalb haben die Götter sie gesandt …
    Sonja nahm eine Fackel aus einer Wandhalterung. »Dann komm – wir vergeuden nur Zeit. Wohin?«
    Tiamu rannte voraus, in die dunklen Tiefen des Korridors.
     
    »Was bedeutet es, Mophis?« fragte Hefei ihren Oberseher aufgeregt. »Was sagt es uns voraus?«
    Sie befanden sich in Mophis Gemächern, hoch oben im Ostflügel des Haupttempels. Der Nachmittag neigte sich dem Abend zu, die Sonne war am Untergehen. Mophis hatte die Fensterläden geschlossen und einen Teil seines Studiergemachs mit dicken Vorhängen abgetrennt. Er war im Augenblick mit einem verwirrenden Ritual zwischen brennenden Kerzen, Weihrauch und Weingefäßen beschäftigt. Es war ein aufwendiges Verfahren, die Zukunft zu lesen, das ihm manchmal einen tiefen Blick in den Verlauf des Schicksals gestattete. Manchmal – doch nicht jetzt.
    »Nun, Mophis?« fragte Hefei hartnäckig.
    Der Hohepriester war angespannt und beunruhigt und keineswegs in der richtigen Verfassung für eine Zukunftsdeutung. Er sah keine großen Weisheiten im Wein, dem Rauch oder den brennenden Kerzen, las keine Geschichten aus der Vergangenheit, erkannte keine Bilder, erfuhr keine Geheimnisse, die die Rote Sonja, das Erdvolk oder Leutnant Gevem betrafen.
    »Ich werde behindert«, erklärte er Hefei. »Etwas stellt sich mir in den Weg, versucht meinen Zauber zunichte zu machen – vielleicht die gleiche Kraft, die die flammenhaarige Hyrkanierin hierher führte.«
    »Ist die Rote Sonja ein Werkzeug dieser Kraft? Oder ist es Gevem?«
    »Das ist schwer zu sagen. Es gibt widersprüchliche Zeichen.« Mophis gestikulierte. Rauch kräuselte sich aus dem Feuerbecken, als er sich von seinem Arbeitstisch ab- und Hefei zuwandte.
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