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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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hielten mich Marians Arme und meine Verbindung zum Weißen Löwen war abgebrochen. Ich sah, wie er sich verformte, wie sich der gräuliche Stein dunkel verfärbte und durch die Apparatur zu fließen begann, aber ich spürte ihn nicht mehr. Seine Stimme war verstummt. Selbst das Loch in meinem Herzen, das in den letzten Monaten zu meinem ständigen Begleiter geworden war, schien geheilt.
    »Es funktioniert!«, krächzte Fluvius Grindeaut von seinem Lager aus. Er hatte die buschigen Brauen zusammengekniffen und beobachtete, was vor sich ging, genau wie mein Vater, der auf wackeligen Beinen zu uns herübertaumelte. Nur Madame Mafalda versuchte noch immer, die Blutung am Kopf ihres Bruders zu stillen.
    Unterdessen glitt der Stein durch das gläserne Labyrinth voller Dunkler Energie und näherte sich der Brust meiner Mutter. Schon perlte er in die Elektrode, die auf dem Narbengeflecht ihrer Haut klebte. Genau an der Stelle, an der sich eigentlich ihr Herz hätte befinden müssen und wo nun nur noch Zahnräder und Federn waren. Meine Mutter erbebte. Ihre Lippen formten meinen Namen und danach den meines Vaters. Würde sie tatsächlich sterben? Oder würde ihr Herz sich einen Weg zurück in ihre Brust graben?
    Der Weiße Löwe berührte sie.
    Meine Mutter schlug die Augen auf. Noch einmal sah sie uns an. Dann war der Stein plötzlich überall.
    Er kehrte nicht an seinen angestammten Platz zurück, sondern wuchs über die Haut meiner Mutter wie ein Schatten, bildete eine Kruste auf ihrem Körper, die sich über ihren Hals schob, weiter das Kinn hinauf bis zu ihrem Haaransatz. Wir erkannten noch, wie ein Lächeln über ihre eingefallenen Züge flackerte, dann war auch ihr Gesicht verschwunden, genauso wie ihr Körper, ihre Füße, die Spitzen ihrer Finger und jedes einzelne ihrer dunklen Haare. Der Stein hatte sich wie ein Tuch über sie gebreitet, sie zu sich geholt. Nun schrumpfte er wieder und das Kissen, von dem er sich zurückzog, war leer.
    »Nein!«, rief ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das zu bedeuten hatte. Ich wollte losstürzen und den Stein irgendwie aufhalten. Aber mein Vater war schneller. Er stolperte über das Plateau, war mit zwei Sätzen bei der Liege. Seine Hände tauchten in den noch immer fließenden Stein. »Geh nicht ohne mich«, schrie er. »Bitte, verlass mich nicht noch einmal!«
    »Dann folge mir, Kasimir«, wisperte es aus dem Weißen Löwen heraus.
    Über die Schulter sah mein Vater mich an. »Verzeih mir, Flora«, sagte er und tauchte kopfüber in die wabernde Masse des Steins ein.
    Die Kruste schob sich nun auch über seinen Körper. Der Weiße Löwe verschluckte meinen Vater ebenso, wie er es bei meiner Mutter getan hatte. Schon war der Schattenfürst fort. Der Stein gluckste, seine Maserungen schoben sich wieder ineinander. Dann waren meine Eltern verschwunden und auf der Liege gab es nur noch einen unscheinbaren Kiesel.
    Ein hoher Pfeifton machte sich in meinem Kopf breit. Meine Beine knickten unter mir weg. Marians Arme fingen mich auch dieses Mal auf, doch ich schlug nach ihm, denn ich wollte fallen. Ich trat und kratzte um mich. Er ließ mich. Meine Schulter krachte auf den Fels, ich schürfte mir die Wange auf und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Mein Körper zitterte, während die Welt um mich herum verblasste. Ich sah nichts mehr und ich hörte nichts mehr, atmete nur noch den Geruch von feuchtem Stein ein. Kühl. Nass. Staub, der in Bröckchen auf meinen Lippen klebte. Geröll, das mir in die Brust stach.
    Meine Eltern waren – Nein, ich konnte nicht mehr denken. Vor allem das nicht. Ich atmete in der Stille, zählte meine Herzschläge und wartete darauf, ebenfalls zu Stein zu werden. Betonkrumen regneten auf mich herab, trafen meinen Rücken und meine Beine.
    Hände packten mich und zogen mich fort.
    Ich öffnete nicht die Augen, um zu sehen, wer es war oder wohin man mich brachte. Wozu auch? Ich tat einfach so, als wäre ich bereits tot, und vielleicht war es ja sogar so?
    Als jemand mich über seine Schulter legte, blinzelte ich dann doch aus Versehen. Das brüllende Tosen des Nichts kehrte so schlagartig zurück, dass ich zusammenzuckte. Es war Marian, der mich trug. Wild durcheinanderwirbelndes Geisterhaar erfüllte die Grotte. Das Ende der Schattenwelt war also gekommen. Marian schleppte mich zur Wendeltreppe hinüber, die nun nirgendwo mehr hinführte. Das alles spielte keine Rolle mehr.
    Das Experiment war fehlgeschlagen. Das Nichts war geblieben. Dann sollte
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