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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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würden vermutlich niemals müde werden oder eine Beute wie uns davonkommen lassen. Nicht nachdem sie so unaufmerksam gewesen waren, dass Marian ihnen hatte entkommen können. Und schon gar nicht mit dem Stein. »Dann fliehst du eben nach oben«, sagte ich, öffnete die Faust mit dem Weißen Löwen und streckte Marian den Stein hin. »Nimm ihn. Ich habe dich springen sehen. Für mich ist es zu hoch. Ich werde sie aufhalten, solange ich kann.«
    Marian tastete nach dem Stein, streichelte seine raue Oberfläche. Doch er schloss behutsam meine Finger um den Weißen Löwen und schüttelte den Kopf. »Wir versuchen es zusammen oder gar nicht«, sagte er und legte seine Hände schützend um meine. Ich klammerte mich an ihn.
    Wir sprangen.
    Die Decke der ehemaligen Tropfsteinhöhle war unfassbar hoch, aber es funktionierte. Wir hielten den Weißen Löwen über unsere Köpfe und tatsächlich zog er uns immer weiter empor. Der Stein schien seinen Weg zu kennen und bohrte sich durch die endlos wirkenden Schwaden des Nichts. Bald umgab uns wieder Gestein. Schon rechnete ich damit, an der Oberfläche aufzutauchen, doch anstatt uns weiter hinaufzuführen, lenkte der Weiße Löwe uns eine Weile quer durch den Fels und die Fundamente der Pyramiden, bis uns schließlich wieder das Wasser des lackschwarzen Sees umspülte und der Stein nur noch leise pulsierte.
    Nun rissen Marians kräftige Schwimmbewegungen mich mit und sorgten dafür, dass wir kurz darauf im Herzen der Grotte auftauchten. Wir rissen uns die schweren Helme von den Schultern, sahen einander an und küssten uns. Marians Bartstoppeln kratzten über mein Kinn und sein Haar klebte ihm schweißnass an der Stirn. Wir hatten es geschafft! Der Stein war wieder unser und die Geister hatten Marian nicht noch einmal in ihre mottenzerfressenen Finger bekommen! Doch Eisenheim war noch nicht gerettet und es war das Räuspern des Eisernen Kanzlers, das vom Ufer her zu uns drang und uns daran erinnerte.
    »Na endlich«, begrüßte uns Alexander von Berg mit einem strahlenden Lächeln. Er lehnte zwischen meinem Vater und Madame Mafalda, die anscheinend mitgekommen war, um ihn zu bewachen, an der Felswand. »Haben Sie ihn, Hoheit?«
    »Ja!«, rief ich über das Wasser hinweg. »Wir –« Eine Welle schwappte mir in den Mund, weil Marian mich plötzlich unterhakte und losschwamm, um uns an Land zu bringen.
    Allerdings steuerte er das falsche Ufer an. Er wollte nicht zu meinem Vater und dem Kanzler. Er wollte auf die andere Seite des Sees. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Marians Kraulbewegungen hüllten uns in aufpeitschende Tröpfchen. Doch als ich durch sie hindurchblinzelte, erkannte ich Ylvas Monstergestalt am anderen Ufer. Hinter ihr schimmerte sanft das Materiophon. Die leere Halterung für den Weißen Löwen war deutlich sichtbar.
    »Was hast du vor?«, rief ich und versuchte, mich Marians Griff zu entwinden, mit dem Effekt, dass ich untertauchte und noch mehr Wasser schluckte. »Tu das nicht!« Ich hustete und drückte den Stein so fest an mich, dass es wehtat, während ich Marian mit der freien Hand bei den Haaren packte und seinen Kopf herumriss, damit er mich ansehen musste. Über seinen Augen lag ein Schleier aus Verzweiflung. Er konnte nicht klar denken, jetzt, da die Möglichkeit, Ylva endlich von ihrem Leid zu erlösen, so nah war. Ich bohrte meinen Blick in seinen.
    »Du musst wieder vernünftig werden«, beschwor ich ihn. »Ich habe dir versprochen, dass wir ihr helfen. Aber wenn Eisenheim heute Nacht untergeht, ist alles zu spät. Willst du, dass deine Schwester zu einem seelenlosen Geist wird? Willst du das?« Meine Stimme überschlug sich und hallte von der Decke der Grotte wieder, von der noch immer Staub rieselte.
    »Was ist bei euch los?«, rief jemand vom anderen Ufer zu uns herüber. Hastige Schritte waren zu hören.
    Marian sah mich an, meine Worte brauchten anscheinend einen Augenblick, bis sie seinen Verstand erreichten. Noch immer krallte ich meine Finger in seinen Schopf, bis er schließlich die Zähne aufeinanderbiss. Doch er machte keinerlei Anstalten, mich loszulassen.
    »Denk nach, Marian!« Ich versuchte, ihn zu schütteln. Nun, da der Weiße Löwe wieder bei mir war, nahm ich die Spannung, die auch in dieser Nacht in der Luft lag, überdeutlich wahr. Jedes einzelne Härchen auf meinen Unterarmen hatte sich aufgerichtet. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Nichts wieder zuschlagen würde. »Marian! Bitte!«
    Endlich lockerte er seinen Griff.
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