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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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ein Stück zurück, doch das schien sie nicht im Mindesten aufzuhalten. Egal, mit welcher Wucht Marian sie auch traf, sie stürzten sich unmittelbar danach wieder auf ihn. Sein Anzug und die darin verbauten Materientanks zogen sie wohl auch dieses Mal unwiderstehlich an. Einer von ihnen schaffte es nun sogar, seinen Schlund an Marians Helm zu pressen und daran zu saugen.
    Ich stand wie versteinert da. Alles in mir schrie danach, Marian beizustehen. Aber gleichzeitig war da auch der Weiße Löwe, der auf der Spitze des nun verlassenen Ofens thronte. So nah! Er lockte mich mit süßlicher Stimme. Es wäre ganz leicht. Ich würde endlich wieder vollständig sein. Doch ich konnte Marian doch nicht einfach so im Stich lassen! Schon schwang sich ein weiterer Geist auf seine Schultern, verbiss sich in seinem Kragen und begann daran zu zerren. Die Biester hatten schon einmal versucht, Marians Anzug zu zerstören, und er war ihnen entkommen. Etwas sagte mir, dass ihnen dies kein zweites Mal passieren würde.
    »Verdammt, Flora!«, hörte ich plötzlich Marians Stimme in meinem Helm. »Worauf wartest du? Schnapp dir endlich diesen verfluchten Stein!«
    Ich nickte und rannte los. Natürlich musste ich es tun, das Schicksal beider Welten hing davon ab.
    Nach einigen Sekunden erreichte ich den Ofen. Seine Wände glühten vor Hitze, doch als ich vorsichtig meine behandschuhte Hand daranlegte, fühlte ich davon nichts. Beherzt stieß ich mich ab und sprang in die Höhe. Nach einigen Metern bekam ich einen kleinen Vorsprung des Kamins zu fassen und hangelte mich von dort aus weiter. Plötzlich hatte ich wieder eine meiner allerersten Nächte in Eisenheim vor Augen. Damals, als Marian mich zum Grauen Bund gebracht hatte und an einer Häuserfassade emporgesprungen war, um mir die veränderten Naturgesetze der Schattenwelt zu demonstrieren. Das war nicht einmal ein Jahr her, doch es fühlte sich an, als wäre es in einem anderen Leben geschehen.
    Die Oberfläche des Stalagmiten war bereits porös geworden und zerbröckelte unter meinen Fingern wie altes Styropor. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Nichts auch ihn vernichtet hätte. Doch ich fand noch genug Halt, um weiter nach oben zu klettern, bis ich schließlich, nach all den Monaten, die ich ohne ihn hatte leben müssen, den Weißen Löwen in meine Hand schloss. Er schmiegte sich hinein, als sei er nie fort gewesen. Ein warmes Pulsieren in seinem Innern übertrug sich von der steinernen Haut des Weißen Löwen auf meinen Arm und wanderte in meine Brust hinauf, bis unsere Herzen im Gleichtakt schlugen.
    Das Gefühl, wieder vollständig zu sein, war überwältigend. Beinahe hätte ich vergessen, in welcher Gefahr Marian sich befand. Doch auch er war mittlerweile ein Teil von mir geworden und so sprang ich wieder vom Ofen, ehe ich es mir recht überlegt hatte. Die Kraft des Steins schlug Blasen in meinen Adern. Es fühlte sich an, als wären der Stein und ich zusammen ein Komet, der auf die Erde zuraste.
    Verschwommen erkannte ich Marians Gestalt unter einem Haufen aus Geistern. Ihre Leiber wanden sich über seinem Körper wie ein Haufen Maden. Sie saugten und bissen und zerrten an ihm. Ein Schwall Dunkler Energie entwich irgendwo in der Nähe seiner rechten Schulter und ließ die Gespenster vor Freude aufjaulen. Dann war ich bei ihnen.
    Die Kraft des Steins verstärkte meine eigene Kampfkunst um ein Vielfaches. Ich brauchte gar nicht mehr darüber nachzudenken, was Madame Mafalda mich gelehrt hatte, sondern wirbelte um meine eigene Achse, als hätte ich nie etwas anderes getan. Schon bald hatte ich Marian so weit von den Biestern befreit, dass ich ihn wieder auf die Beine ziehen konnte. Gemeinsam nahmen wir uns die Wesen vor, schüttelten sie von unseren Armen, Beinen und Schultern. Die ganze Zeit über hielt ich dabei den Weißen Löwen fest in meiner Faust und auf welche der Gestalten ich ihn auch richtete, sie wich augenblicklich davor zurück. Es war unmöglich zu sagen, ob es Ehrfurcht oder Angst war. Die toten Gesichter verrieten es nicht.
    Nach einer Weile hatten wir uns eine Armeslänge Abstand erkämpft. Doch die Geister umringten uns noch, lauerten darauf, dass wir einen Fehler machten oder die Konzentration verloren. Ihr Atem leckte an unseren Helmen.
    »Wir müssen zurück«, keuchte Marian. »Aber die werden uns niemals durchlassen.«
    Ich betrachtete die ausdruckslosen Fratzen um uns herum. Dies waren Wesen, die sich selbst in die Glut ihrer Öfen stürzten. Sie
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