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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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man sich an, was die Nachkriegskinder prägte, so sind auch sie – genau so wie die Kriegskinder und die Kriegsenkel – grob zu unterscheiden in die früh und die später Geborenen. Bei den Älteren, in etwa die Jahrgänge bis 1953, sah ich viele Parallelen zu den Kriegskindern der vierziger Jahrgänge: in Elend groß geworden, umgeben von verstörten, belasteten Erwachsenen, eine strenge Erziehung, die ansteckende Aufbruchsstimmung von 1968, Rock- und Popmusik, ausgezeichnete Berufschancen. Letzteres bezieht sich auf die wohl einmalige gesellschaftliche Situation, dass man sich in der Jugend gründlich daneben benehmen konnte, ohne dass es sich später zum Nachteil auswirkte – es sei denn, man geriet in den Verdacht, ein Verfassungsfeind zu sein und wurde auf Grund des »Radikalenerlasses« vom Staatsdienst ausgeschlossen. Genau genommen musste es jemand, der in den vierziger Jahren geboren war, schon ziemlich dumm anstellen, wenn ihm nach seinem Studium eine gut bezahlte Akademikerlaufbahn verschlossen blieb. Aber auch ohne Hochschulabschluss ergaben sich erstaunliche Karrieren, an der Spitze die von Joschka Fischer, der es vom ehemaligen Straßenkämpfer bis zum Bundesaußenminister brachte.

Stellvertretende Schuld
    In den Nachkriegsjahrgängen war die Angst, der Vater könne ein schlimmer Nazi gewesen sein, weit verbreitet. Im Ausland wurde das Phänomen nicht verstanden. Es war ja auch mit Vernunft nicht nachzuvollziehen, dass sich Nachkommen, nur weil sie |24| Deutsche waren, schuldig fühlten für die Massenverbrechen der Vergangenheit, während die Eltern sich durchweg als Opfer sahen. Schuld- und Schamgefühle hatten in der falschen Generation ihren Platz gefunden. Unter den Begriffen »stellvertretende Schuld« oder »übernommene Schuld« gingen sie in die psychotherapeutische Literatur ein. Dass die Nachkriegskinder stolz sind, Deutsche zu sein, kommt ihnen in dieser Schlichtheit nicht über die Lippen. Stattdessen hört man von ihnen Sätze wie: »Es ist nicht schlecht, Deutscher zu sein.« Oder: »Wir würden ja gern unser Land lieben, aber die Vergangenheit …«
    Viele Nachkriegskinder schrieben mir, sie hätten sich teilweise in meinem Buch »Kriegsenkel« wiedergefunden. Das war dann der Fall, wenn im Elternhaus ein Klima der gedämpften Gefühle herrschte oder wenn Heimatvertriebene ihre Familie als »Burg« betrachtet und den Kindern Misstrauen gegen den Rest der Welt eingetrichtert hatten. In den Jahrgängen der Baby-Boomer schließlich – in etwa von 1958 bis 1964 – überschneiden sich viele prägende Erfahrungen der Nachkriegskinder mit denen der Kriegsenkel. Seit sie den Kindergarten besuchten, wissen sie: Wir sind zu viele. Auf mich kommt es nicht an. Ob in der Ausbildung, an der Universität oder im Berufsleben – eigentlich sind immer schon alle Plätze besetzt. Eine Generation in der Warteschleife.
    Weder in meinem Buch »Die vergessene Generation« noch in »Kriegsenkel« spielen die Väter eine tragende Rolle. Überwiegend war zu hören, sie hätten als Ernährer gut für ihre Familie gesorgt, seien aber im Grunde abwesende Väter gewesen. Die Aufmerksamkeit lag auf der Mutter, auf sie war man ja als Kind hauptsächlich angewiesen gewesen, mit ihr hatte es offene oder verdeckte Spannungen gegeben, mit ihr hatte man sich womöglich ein Leben lang herumgezankt. Mit den Vätern weit weniger. Häufig war der Kontakt zu ihnen dünn gewesen, weshalb vor allem Töchter – anders als Söhne – über Jahrzehnte übersahen, dass auch die sogenannten abwesenden Väter auf bestimmte Aspekte |25| der eigenen Entwicklung einen enormen Einfluss ausgeübt hatten. Vor allem von den jüngeren Nachkriegskindern wurden mir die Väter überwiegend als Männer beschrieben, die durch ihre Wehrmachtszeit und Gefangenschaft noch lange oder bis zum Tod seelisch belastet blieben und die mit viel Disziplin ihr Leben meisterten.

Täter oder Opfer oder beides?
    Bei meinem Nachdenken über ein neues Buchkonzept rückten die Kriegsväter immer mehr in den Vordergrund. Sie waren auch in einem anderen Kontext nicht mehr zu übersehen. Seit Jahren bieten mein Mann und ich Seminare für »Kriegsenkel« an, die Kinder der Kriegskinder. Hier meldeten sich zunehmend auch Angehörige der fünfziger Jahrgänge an, obwohl deren Eltern Kriegserwachsene waren. Aber sie suchten nun mal ein Forum, um ihre Problematik zu reflektieren, und weil sie es woanders nicht fanden, reihten sie sich bei den Kriegsenkeln ein. Obwohl
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