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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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eine Minderheit, dominierten die Älteren unsere Seminare, da sie ihren Klärungsbedarf viel vehementer anmeldeten als die Kriegsenkel. Was sie herausfinden wollten, bezog sich fast immer auf Fragen zu den Kriegsvätern.
     
    Wer war mein Vater eigentlich?
    Was steckte hinter seinem Schweigen?
    War er Täter oder Opfer oder beides?
    Welche Bilder wurde er sein Leben lang nicht los?
    In welchem Umfang hat er von der NS-Zeit profitiert?
    Wie hat Vaters Krieg unser Familienleben geprägt?
    Was habe ich von ihm »geerbt«?
    Wie hätte ich mich als Frau/als Mann ohne einen Kriegsvater entwickelt?
     
    |26| Man kann sich vorstellen, dass solche Fragen für Kriegsenkel ohne großen Wiedererkennungswert waren, denn dem Alter nach handelte es sich um ihre Großväter, die ihnen in der Regel so wichtig nicht waren. Fragen nach deren Kriegserlebnissen oder mögliche Verstrickungen in die deutsche Schuld sind für die Enkel nur selten von Bedeutung. »Für uns sind das allenfalls sonderbare Opis gewesen«, erklärte mir ein Mann von Mitte Vierzig. »Über ihre Vergangenheit als junge Menschen haben wir nicht weiter nachgedacht und auch unsere Eltern haben sich diesbezüglich in Schweigen gehüllt.«
    In unseren Seminaren für Kriegsenkel spiegelt sich der Befund des Buchs von Harald Welzer »Opa war kein Nazi«. Zum Beispiel: 12 Teilnehmer beschreiben ihren Familienhintergrund; fast alle sehen ihre Eltern und Großeltern als Opfer. Nur ein Mann berichtet, sein Großvater habe sich einen arisierten Betrieb billig unter den Nagel gerissen und damit sei Wohlstand in seine Herkunftsfamilie gekommen. Rein statistisch kann das nicht stimmen, 12 Teilnehmer bedeuten 24 Großelternpaare, bedeuten 48 Personen. Nur ein Opa war Nazi, vielleicht nicht einmal das, vielleicht war er auch nur ein Unternehmer, der von einer günstigen Gelegenheit profitierte. Inzwischen veranstalten mein Mann und ich auch Seminare speziell für Nachkriegskinder. Hier ist die Sicht auf die Generation der Kriegserwachsenen realistischer. Darüber hinaus ist das Wissen über historische Fakten und auch über die Bedingungen und Vorgänge des Alltags in der NS-Zeit sehr viel größer als bei den Kriegsenkeln.
    Die Nachkriegskinder fangen an, sich Gedanken über den Ruhestand zu machen. Da liegt eine Lebensbilanz mit einem update zur Identitätsklärung nahe. Häufig geht sie Hand in Hand mit Fragen nach der eigenen Herkunft, nach den Wurzeln. Das Schweigen in ihren Familien über die unheilvolle Vergangenheit hatte viele Nachgeborenen in ihrer Jugend verwirrt, später vielleicht sogar krank gemacht. Die Irritation bezüglich ihrer Soldatenväter muss schon deshalb größer gewesen sein als bei den |27| Kriegskindern, da diese, sofern sie sich an die Zeit vor 1945 erinnern konnten, die männlichen Familienmitglieder noch in Uniform erlebt hatten. Für sie war es im Unterschied zu den später Geborenen kein Geheimnis, woher des Vaters Befehlston kam und warum er seine Kinder bei Bedarf »antreten« ließ.

»Wie konnte mein Vater das tun!?«
    Der Fokus Vater führt notgedrungen zu einem verengten Blickwinkel. Die Beziehung zur Mutter wird in diesem Buch nur angedeutet. Oft war das Leid der Mütter begleitet von dramatischen Umständen und einschneidenden Folgen für ihre Kinder. In vielfacher Weise zeigt sich, wie hilflos die Väter als Ehemänner den seelischen Nöten ihrer Frauen gegenüberstanden und wie sie daher auch bei ihren Kindern versagten.
    Manchmal schilderten mir Nachkriegskinder, wie in ihnen die Ahnung wuchs, der biedere, langweilige Vater, der jedes Risiko scheute, könnte mal ein ganz anderes, ein wildes Leben geführt haben, was sich dann durch Nachforschungen bestätigte. Manchmal wuchs damit auch das Entsetzen. Wenn die Beteiligung an Kriegsverbrechen vermutet oder sichtbar wurde, zeigte sich, dass Denk- und Gefühlskategorien von Friedenskindern nicht ausreichten, und so stellten sie immer wieder die Frage: »Wie konnte mein Vater das tun!?« Der Historiker Sönke Neitzel bietet eine Erklärung an: »Konkret wurden im Krieg Verbrechen danach definiert, was von den Soldaten emotional als Verbrechen empfunden wurde.«
    Oft war das Ergebnis der Nachforschungen enttäuschend. Es blieben Ungereimtheiten und Lücken, die letztlich nur neue Fragen und Spekulationen aufwarfen, weil es keine möglichen Mitwisser mehr gab, die man hatte fragen können. Die meisten Recherchen förderten nichts anderes als das ganz normale Kriegsgrauen zu Tage. »Was der
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