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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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Vater an der Front und in Gefangenschaft |28| erlebt hat«, sagte ein Sohn, »war zu viel für ein Leben. Er hatte als Soldat zu viele Freunde verloren, da hat er später keine neuen Freundschaften mehr geknüpft.«
    In meiner Jugend kannte ich – abgesehen von den Alten – kaum andere Männer als Kriegsteilnehmer oder Heimkehrer. Ich wusste, dass sie, wenn überhaupt, ihren Söhnen etwas anderes erzählten als ihren Töchtern. Ich ließ allerdings nicht locker, bis die Jungen auch mich einweihten. Als Erwachsene begriff ich, wie viel die Väter dabei ausblendeten. Manche Männer verteidigten ganz offen bis ins hohe Alter Hitlerdeutschland, aber die meisten taten es nicht, entweder weil sie tatsächlich keine Nazis mehr waren oder es nie gewesen waren, oder weil sie ihre Gesinnung verbargen und sie nur bei den alten Kameraden am Stammtisch zur Sprache brachten.

Die letzten Zeugen der Wehrmachtszeit
    Was ich bei meinen Buchrecherchen über die Väter hörte, war mir also im Wesentlichen vertraut. Ich wusste, dass sie sich durchweg als Opfer sahen und dass sich diese Sichtweise im Alter nicht ändern würde. Erst relativ spät kam mir der Gedanke, es würden ja vermutlich auch Jüngere das Buch lesen, denen man einen Eindruck vermitteln müsse, in welcher Weise die Kriegsväter sich über ihre Wehrmachtszeit und die Gefangenschaft geäußert hatten. Ich führte zwei Interviews mit ehemaligen Soldaten – einer war zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 97 Jahre alt, er lebt inzwischen nicht mehr. Darüber hinaus gebe ich in diesem Buch sehr ausführliche Gespräche mit drei Experten wieder. Es handelt sich bei ihnen um den bereits erwähnten Historiker Sönke Neitzel, den Psychotherapeuten Jürgen Müller-Hohagen und den ostdeutschen Pfarrer Wolfram Hülsemann, der mir die DDR-Va riante der Thematik »Nachkriegskinder und ihre Soldatenväter« erläuterte.
    |29| Das Thema »Kriegsväter« ist nicht neu. Seit den achtziger Jahren beschäftigt sich die psychotherapeutische Literatur mit dem Niederschlag der Kriegs- und NS-Vergangenheit in deutschen Familien. Es waren vor allem Angehörige der Kriegskinderjahrgänge, die sich dieser Thematik annahmen, darunter Jürgen Müller-Hohagen (»Verleugnet, verdrängt, verschwiegen«), Anita Eckstaedt (»Nationalsozialismus in der zweiten Generation«), Wolfgang Schmidbauer (»Ich wusste nie, was mit Vater ist«), Tilmann Moser (»Dämonische Figuren«). Aber seit ihren Veröffentlichungen sind erneut viele Jahre ins Land gegangen. Der zeitliche Abstand, neue historische Forschungsergebnisse und Selbsterkenntnis ermöglichen heute Einsichten, die von Schwarz-Weiß-Denken und Ideologie abgerückt sind. »Als wir jung waren, wollten wir Eindeutigkeit, wir wollten klare Ansagen: entweder – oder, richtig oder falsch«, sagte mir eine Sechzigjährige. »Mit der heutigen Lebenserfahrung wissen wir, dass sie nicht zu haben sind.«
    Bei meinen Gesprächen stellte sich heraus, dass man im Nachhinein den Satz des Vaters »Ich habe von nichts gewusst« als unwahr einschätzt. Damit wird reflektiert umgegangen. Vorwürfe werden heute kaum mehr erhoben. Dagegen hat sich nichts geändert an der Sichtweise, wie gravierend sich das Schweigen der Väter auswirkte – wie es die eigene Wahrnehmung und die Entscheidungsfähigkeit irritierte, wie es die Menschenkenntnis schwächte und spätere Partnerschaften belastete und nicht selten zu einer seelischen Erkrankung führte.

Kindersoldaten
    In den heutigen Aussagen der Nachkriegskinder überwiegt das Mitleid mit Familienmitgliedern, die Opfer waren, auch dann, wenn sie gleichfalls Täter waren. Väter, die noch kurz vor Kriegsende eingezogen wurden, manche im Alter von 16 Jahren, werden |30| als »Kindersoldaten« eingestuft. Wer 1933 noch nicht erwachsen war, wird darüber hinaus als Opfer der fanatischen Propaganda gesehen, der sich Jugendliche kaum entziehen konnten. Im späteren Leben blieben sie häufig einer reaktionären Weltsicht verhaftet, weshalb sich die Kinder ihrer schämten. Schon deshalb hatten sie nicht so werden wollen wie ihre Eltern.
    In fast allen Gesprächen wiederholte sich das große Bedauern über seichte, schwierige oder extrem spannungsreiche Beziehungen. Auf Wut oder Empörung stieß ich nur noch selten.
    Fakt bleibt, man hätte es sehr viel leichter haben können, hätten die Eltern nicht jede Schuld oder profitierende Beteiligung an den Untaten der NS-Zeit zurückgewiesen, und sich damit grundsätzlich geweigert, sich dem
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