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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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besserwisserische Reden, das andere Eltern auf ihre Kinder niederregnen ließen.« 3
    Normalerweise scheuen Romanautoren ein Klima der guten familiären Beziehungen. Der handfeste Generationenkonflikt ist als Stoff weit ergiebiger als ein harmonisches Miteinander. Doch Ortheils Leser – wie man hört, überwiegend den 1950er Jahrgängen angehörend, wie der Schriftsteller selbst – empfinden dieses Buch als erholsame wenn nicht gar heilsame Lektüre, gerade weil es keine Beziehungsdramen enthält und sich der Sohn fast mühelos aus dem hochkomplizierten und viel zu engen Verhältnis zu seiner traumatisierten Mutter löst.
    Nachkriegskinder erinnern sich, wie viele Väter und Großväter voller Spannung steckten. Die meisten waren starke Raucher. In der Zigarettenwerbung tauchte in dieser Zeit ein kleiner Kerl auf, |36| der optimistisch sein Tagwerk beginnt, aber dann, sobald eine Kleinigkeit schief läuft, explodiert. Wir liebten die Episoden des HB-Männchens im Kino, bevor der Hauptfilm begann, brachten es allerdings nicht mit den uns gut bekannten Kettenrauchern in Verbindung, denn diese ließen sich, wenn sie ihre Anfälle bekamen, durch einen Zug aus der Zigarette wohl kaum beruhigen. Das leise und liebevolle Zusammenleben in dem Roman »Die Erfindung des Lebens« war fraglos eine Ausnahme. In den meisten Familien ging es erheblich geräuschvoller zu. Davon handelt die folgende Geschichte, aber auch davon, wie ein Vater die Schrecken seiner Vergangenheit verbarg, wie biografische Erfahrungen sich in Ideologie verwandelten und wie unterschiedlich sich seine Kinder dazu stellten.

Am Familientisch zwei Fraktionen
    Wenn im Elternhaus von Martin Best* das Essen auf dem Tisch stand, wurde erst gebetet und unmittelbar danach begann eine laute politische Diskussion. Es gab zwei Fraktionen. Die beiden älteren Geschwister hielten zum Vater, die beiden jüngeren zur Mutter. Hannelore Best* war Feministin und wählte die Grünen, Harald Best* wollte Franz-Josef Strauß als Bundeskanzler und warf den Sowjets Kriegstreiberei vor.
    Mein Kontakt zu Martin Best war durch einen gemeinsamen Bekannten zustande gekommen. Während wir zum ersten Mal telefonierten, stellte ich ihn mir mit Designerbrille und Kaschmirpullover vor. Vermutlich lag es daran, dass er als Rahmen für unser Gespräch nicht seine Praxis, sondern ein Mittagessen in einem nicht gerade preiswerten Restaurant vorschlug, woraus ich klischeehaft schloss, er würde auch bei seiner Kleidung nicht sparen. Auf der anderen Seite wusste ich, dass die meisten Psychotherapeuten kein Faible für Anzüge haben. Tatsächlich trug er eine Designerbrille, einen Pullover im Marinestil und ausgebeulte |37| Cordhosen, wie ich sie an Männern kenne, seit ich 20 Jahre alt bin.
    Martin Best, geboren 1951, Vater von drei Kindern, ist ein kultivierter Mann. Die Speisen wählt er mit Bedacht, ein trockener Sherry vorweg, ein Glas Rotwein zum Wild. Während des Vorgerichts und der Hauptspeise reden wir über neue Filme und Theaterstücke und über das eingestürzte Archiv in meiner Heimatstadt Köln. Wir sind noch dabei, uns aufeinander einzupendeln. Natürlich will er einschätzen, wie weit er mir vertrauen kann. Er kennt meine Bücher nicht, nur grob deren Inhalte. Erst beim Dessert, einem Zimtparfait, gibt er mir einen ersten Einblick in seine meinungsfreudige Familie, und angesichts seiner ruhigen, abwägenden Art frage ich mich, wie er sich als Jugendlicher am Esstisch überhaupt Gehör verschaffen konnte.
    Bei seinen Schilderungen fallen mir die Bundestagsdebatten der siebziger Jahre ein, die leidenschaftlichen, im hohen Maße ideologisierten Kontroversen, teilweise mit üblen Beschimpfungen, teilweise mit hohem Unterhaltungswert und weit entfernt von dem blutleeren Duktus, wie er heute unter der Kuppel des Berliner Reichstags Standard ist. In einer Kleinstadt am Rande des Harzes wurden die Debatten aus Bonn nachinszeniert. Bei Familie Best kreiste man damals um dieselben Themen: die Angst vor den Russen, Ost-West-Entspannung, Freiheit statt Sozialismus, RAF, Nachrüstung, Atomraketen. Langweilig wurde es nie, obwohl am Ende kein Erkenntnisgewinn stand in dem Sinn, dass sich Positionen angenähert hätten.

Politische Wortgefechte mit Subtext
    Martin Best glaubt, der Subtext unter den Wortgefechten sei gelegentlich ein anderer gewesen: Die Eltern hätten ihre Paarkonflikte auf die Ebene der politischen Diskussionen verschoben. Auf andere Weise hätten sie nicht aggressiv sein
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