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Das Land am Feuerfluss - Roman

Das Land am Feuerfluss - Roman

Titel: Das Land am Feuerfluss - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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    Brisbane 1946
    E r wusste, dass er mit Sicherheit eine befremdliche Figur abgab in dem schlecht sitzenden Anzug, den jemand ihm freundlicherweise überlassen hatte. Doch er hatte Geld in der Tasche und die Entlassungspapiere der Armee im Seesack. Im Grunde war er ein freier Mann.
    Nicht nur der helle Glanz auf dem Wasser des Brisbane River trieb ihm Tränen in die Augen, denen er schließlich ungeniert freien Lauf ließ. Er hatte so lange auf seine Rückkehr nach Australien gewartet, hatte sich die Düfte, Bilder und Geräusche des Landes in der Erinnerung und im Herzen bewahrt wie ein süßes Versprechen, um den Dschungelkrieg und die Entbehrungen der japanischen Kriegsgefangenenlager zu überstehen. Dennoch hatte die Rückkehr ihm keine Erlösung gebracht. Selbst nach den langen Monaten im Krankenhaus verfolgten ihn seine Erlebnisse noch immer, und nun musste er sich einem neuen Kampf stellen – gegen einen anderen, weit gefährlicheren Feind.
    Er war vierunddreißig und hatte Dinge gesehen, die kein Mensch jemals sehen sollte; er hatte die unmenschlichsten Schlachten überlebt, nur um festzustellen, dass sein geschwächter, zerschundener Körper von Krebs befallen war und er ohnehin sterben würde. Diese Ironie des Schicksals hatte ihn hart getroffen, und im Stillen haderte er mit der Grausamkeit dieser Situation. Er wischte die Tränen fort und bemühte sich um Haltung.
    Sobald er bereit war, sich wieder der Welt zu stellen, warf er den Seesack über die knochige Schulter, kehrte dem Fluss den Rücken zu und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Am Morgen hatte er das Hospital gegen den ärztlichen Rat verlassen. Der Chirurg schien allerdings zu verstehen, dass sein Patient das Bedürfnis verspürte, die ihm verbleibende Zeit zu nutzen, um die momentane Freiheit zu genießen und einen gewissen Frieden zu finden.
    Langsam schritt er durch die emsige Stadt, beeindruckt von den neuen Gebäuden und der Zielstrebigkeit der Menschen ringsum. Nach all den Jahren, in denen er Befehle ausgeführt und unter der Knute gestanden hatte, war es beängstigend, frei zu sein, und der Verkehrslärm und das Gewusel der Passanten verwirrten ihn. Die Stadt hatte sich während seiner Abwesenheit verändert, er selbst allerdings auch. Er war nun ein Fremder, unsichtbar für seine Mitmenschen, eine dürre, schemenhafte Gestalt, der man nicht einmal einen flüchtigen Blick schenkte.
    Diese mangelnde Aufmerksamkeit traf ihn jedoch nicht, denn sein Herz und sein Verstand waren auf einen weit entfernten Ort konzentriert; auf einen Ort, dessen Stille nur vom Rauschen des Windes im Eukalyptus gestört wurde; ein Ort, an dem sich ein gewaltiger Himmel über endlose fruchtbare Ebenen und mit Buschwerk bewachsenes Weideland wölbte und ein klares, helles Licht auf die alten Wallaby-Fährten fiel, die ihn schließlich nach Hause führen würden.
    Dunkles Donnergrollen wälzte sich über das Outback. Der Himmel bezog sich mit schwarzen Wolken, gezackte Blitze gingen über den Hügeln nieder und spiegelten sich in den nahezu ausgetrockneten Flüssen und Wasserlöchern. Die Hitze war enorm, die Luft förmlich aufgeladen von dem mächtigen Gewitter, das sich südwestlich von Morgan’s Reach zusammenbraute. Die verängstigten Farmer, die von ihrem verdorrten Land in diesen bedrohlichen Himmel schauten, beteten, die Wolken mögen diesmal aufbrechen und nach drei langen Jahren des Wartens endlich Regen bringen.
    Morgan’s Reach existierte nur aufgrund einer natürlichen Quelle, die selbst in den trockensten Jahren Wasser führte. Die kleine Ansiedlung von weniger als zwanzig Wohnstätten lag tief im Outback von Queensland, weit abgelegen von der Fernstraße, am Ende eines gewundenen Feldwegs. Die Hauptstraße war eine halbe Meile lang und breit genug, um ein Ochsengespann aufzunehmen, aber sie führte nur zu den Trails der Schafe und Rinder sowie zu den alten Fährten der Aborigines und der Wildtiere, die ringsum durch das Buschland streiften. Für Morgan’s Reach gab es keine Wegweiser, denn die Menschen, die auf den großen Schaf- und Rinderfarmen der Gegend lebten und arbeiteten, wussten, wo es zu finden war. Außenstehenden blieb es daher verborgen, bis sie geschäftlich dort zu tun hatten.
    Rebecca Jacksons Großvater, Rhys Morgan, ein Arzt, Forscher, Abenteurer, Wohltäter und Exzentriker, stolperte im Jahr 1889 über diese abgeschiedene Oase. Nachdem er den seiner Meinung nach perfekten Platz für ein Buschkrankenhaus entdeckt hatte,
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