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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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mich war es die Zeit der Abwertungspädagogik. Dass sie nun schon lange durch den Volkserzieher Fernsehen geächtet ist, dass in jeder Familienserie Eltern als vorbildlich gelten, die ihre Kinder respektieren, dafür werde ich den |21| 68ern ein Leben lang dankbar sein. Mir ist meine Prägung durch die Nachkriegszeit sehr bewusst, und während ich mich beruflich mit Kriegskindern und später mit Kriegsenkeln beschäftigte, war mir klar, dass ich weder zur einen noch zur anderen Gruppe gehörte und dass mir diese Distanz bei meiner Arbeit half. Ein Buch zu schreiben, das auch meine eigene Altersgruppe in den Mittelpunkt stellte, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Doch als dem Buch »Die vergessene Generation« über die Kriegskinder das Buch »Kriegsenkel« folgte, das sich im Wesentlichen an die 1960er Jahrgänge richtet, stand bei jeder Lesung jemand auf und sagte: »Ich bin weder Kriegskind noch Kriegsenkel. Was ist mit uns? Was ist mit uns Nachkriegskindern?«
     
    Ein Jahr ließ ich mir Zeit, um auszuloten, ob Recherchen über die Jahrgänge von 1946 bis 1960 tatsächlich ausreichend Neues zu Tage fördern würden. Ich wollte mich ja nicht langweilen, und ich wollte mich nicht wiederholen. So waren bei Kriegskindern, Nachkriegskindern und Kriegsenkeln die Gemeinsamkeiten in den Beziehungen zu den Eltern nicht zu übersehen. Wobei man im Blick behalten muss: Wir reden hier nicht von den Problemen ganzer Generationen, sondern von Auffälligkeiten innerhalb bestimmter Altersgruppen, von gesellschaftlichen Mustern, und natürlich lässt sich nur ungenau trennen, welche Defizite im Verhalten Erwachsener ursächlich auf Kriegstraumatisierungen zurückzuführen sind und welche einer gnadenlosen Erziehung oder anderen Faktoren geschuldet sind. Es gibt auch ohne den Hintergrund Krieg und Vertreibung ausreichend kranke Familien.
    Mutter oder Vater wurden mir häufig als wenig emotional beschrieben; der Zugang in die Gefühlswelt eines Kindes, hieß es, sei nur selten gelungen. Seelischer Schmerz war keine Kategorie. Probleme wurden häufig nicht ernst genommen, sondern als »Problemchen« abgetan. Kinder wurden nicht getröstet, sondern beschwichtigt. Auffällig auch das auf den Kopf gestellte Eltern-Kind-Verhältnis: dass man sich für das Glück der Mutter oder des |22| Vaters verantwortlich fühlte, und zwar von früher Kindheit an. War der Vater im Krieg gefallen, sah sich das Kind der Mutter gegenüber in der Rolle des Tröstenden – seinen eigenen Schmerz musste es unterdrücken. Fest stand, als Kind durfte man ihr nicht zusätzlich Sorgen bereiten, sie hatte es schon schwer genug.

Kinder trösten ihre Mütter
    Parentifizierte Kinder, wie sie in der psychologischen Fachsprache heißen, sind angepasste Kinder, denen es als Erwachsene äußerst schwer fällt, sich abzunabeln. Es kann geschehen, dass sie ihr ganzes Leben der Liebe eines Elternteils hinterherlaufen, in der Hoffnung, doch noch ein bisschen Zuwendung zu ergattern – weil sie nicht verstehen, dass Mutter oder Vater als schwer Traumatisierte zu tiefen, aufmerksamen Beziehungen nicht fähig sind. Soviel zu den Gemeinsamkeiten von Kriegskindern und den später Geborenen, deren Eltern den Krieg noch miterlebt hatten.
    Es ist mir am Anfang meiner Arbeit über die Spätfolgen des Krieges gelegentlich geraten worden, alle beeinträchtigten Altersgruppen zusammenzufassen, doch der Fokus Kriegskinder war mir wichtig, seit ich die Besonderheit in diesen Jahrgängen entdeckte: Hier handelt es sich um eine große Gruppe von Menschen, die in ihrer Kindheit verheerende Erfahrungen gemacht hatten, aber in ihrer Mehrzahl über Jahrzehnte eben nicht auf die Idee kamen, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Sie sagten übereinstimmend: »Das war für uns normal«, und es blieb für sie normal, das jedenfalls sagte ihnen ihr Gefühl. Ihnen fehlte der emotionale Zugang zu ihren Erlebnissen und damit der Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.
    Nachdem die Kriegskinder 2005 zum ersten Mal in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, tauchten nach und nach, eine Generation tiefer, deren Kinder auf. Auch sie wollten gesehen werden mit ihren speziellen Problemen, mit dem, was |23| die Eltern ihnen unbewusst weitergegeben hatten. Über diese nur schwer zu identifizierenden Spätfolgen des Krieges schrieb ich in meinem Buch »Kriegsenkel«. So entstand die Lücke zwischen den Generationengruppen, die das hier vorliegende Buch zu schließen versucht.
     
    Schaut
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