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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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bang. Mit Säbel und mit Schießgewehr ist die hinter den Kindern her.«
    Wie neidisch war ich, als mir Verwandte aus der DDR erzählten, bei ihnen seien die Lehrer überwiegend jung – kaum älter als die Oberschüler der letzten Klasse. Das Lehrerkollegium auf meinem Gymnasium bestand überwiegend aus – ich will es mal vorsichtig ausdrücken – schwierigen älteren Menschen. Wenn sie das Klassenzimmer betraten, waren ihre Gesichter frei von Freundlichkeit. Bestenfalls schauten sie neutral, häufig aber einfach nur schlecht gelaunt. Jede kleine Unregelmäßigkeit schien sie zu stören. Heute weiß ich: Ihre Stressanfälligkeit war enorm hoch, ihnen steckte der Krieg noch in den Knochen. Als Kind dachte ich: Wenn man groß ist, lacht man nicht mehr, man weiß alles besser, man mag Kinder nicht.
    Manche Lehrer schlugen noch mit dem Stock und wurden nur deshalb nicht gebremst, weil in vielen Elternhäusern nichts anderes geschah und Solidarität mit den eigenen Kindern ein |19| Fremdwort war. Wer sich bei den Eltern über Prügel in der Schule beschwerte, bekam zu hören: »Hättest du dich anständig benommen, wäre dir das nicht passiert!«
    Die meisten Erwachsenen duldeten keinen Widerspruch. Wie das im Alltag aussah, lässt sich an einer Szene aus dem Heinz-Erhardt-Film »Vater, Mutter und neun Kinder« von 1958 gut nachvollziehen. Alle sitzen am Tisch, die muntere Kinderschar benimmt sich aus heutiger Sicht völlig normal. Doch die Mutter ist um absolute Kontrolle bemüht, und so hagelt es ohne Pause Ermahnungen und Maßregelungen, genau so, wie es in der Nachkriegszeit üblich war: Sitz gerade, schling nicht so, sei nicht so vorlaut, wie sehen deine Fingernägel aus, man spricht nicht mit vollem Mund, sei nicht so neugierig, reiß dich endlich zusammen …
    Eigentlich wurde man als Kind ständig eingeschränkt, frustriert, überfordert. Irgendwann, in der Jugend, als man dem Zugriff der Eltern entronnen war, ergab deren »komisches Verhalten« reichlich Stoff für fröhliche Runden auf Partys und später in Wohngemeinschaftsküchen. Ein damals beliebter Witz ging so: Ein Kind schreit: »Ich will aber nicht nach Amerika. Ich will nicht nach Amerika!« Darauf die Mutter: »Sei endlich still. Schwimm weiter!« Damals lachten wir nur über eine absurde Situation. Dass in diesem Witz die eigenen Eltern karikiert wurden, konnten wir als Jugendliche nicht sehen – dafür fehlte uns die Lebenserfahrung.

»Das wird bös enden!«
    Wir machten uns gern lustig über den Erziehungsstil und die Schwarzmalerei in der Elterngeneration. Zu unseren Lieblingssprüchen gehörte »Das wird bös enden!« aus der Filmkomödie »Zur Sache, Schätzchen«. Der aufmüpfige Geist von 1968 erfasste auch jene, die keine Weltrevolution wollten, sondern einfach nur ein bisschen mehr persönliche Freiheit. Fast alle meine Gesprächspartner, |20| deren Biografien diesem Buch zugrunde liegen, haben sich im Umgang mit ihrer eigenen Erziehung eine gewisse Ironie zurechtgelegt. Sie alle sind mit den aus dem Heinz-Erhardt-Film zitierten Sprüchen groß geworden. Sie ergaben die Melodie der vorherrschenden Pädagogik, die sich, etwas pauschal ausgedrückt, nur in einem Punkt unterschied: Es gab Schläge oder es gab keine Schläge. So waren auch die meisten Kinder vor dem Krieg und im Krieg behandelt worden. Aber ich bin mir sicher, dass die Eltern der Nachkriegszeit ihren Erziehungsstil noch rabiater praktizierten, einfach deshalb, weil sie ständig überlastet waren, das Nervenkostüm dünn war, ihre Selbstkontrolle versagte und sie auf diese Weise Dampf ablassen konnten – vor allem aber, weil diese Pädagogik so gut funktionierte. Viele Eltern waren stolz auf ihr konsequentes Handeln. Etwaige Nebenwirkungen wurden nicht mit Bestrafung in Verbindung gebracht. Oder doch? Wurden sie womöglich als das kleinere Übel in Kauf genommen? Der Gedanke muss erlaubt sein. Fortwährend eingeschüchterte Kinder machen vielleicht ins Bett, aber sie machen keinen Krach. Ganz ahnungslos können Eltern in den sechziger Jahren nicht mehr gewesen sein.
    Auf Kaffeekränzchen wurde durchaus über die Ursachen von Bettnässen geredet, und man kann davon ausgehen, dass unter einem halben Dutzend Müttern wenigstens eine war, die unter Kindererziehung etwas anderes verstand als Drohen und Strafen.

Die bleierne Zeit
    Oft sind die fünfziger und die Anfänge der sechziger Jahre nach einem Kinofilm von Margarethe von Trotta »Die bleierne Zeit« genannt worden. Für
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