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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein
Autoren: Lisa Kraenzler
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fotografische Zeugnisse seiner Erlebnisse anzuhäufen, ist groß, denn obwohl ich seit einiger Zeit selbst eine Kamera besitze, will es mir nicht gelingen, den hindernisreichen Weg bis zum fertigen Abzug zu Ende zu gehen.
    Innerhalb des vergangenen Jahres habe ich die gesamte Palette des Scheiterns in Sachen Fotografie durchexerziert, indem ich entweder die Kamera oder den Film vergessen, den vollen Film verlegt, den Film versehentlich belichtet oder das Fotografieren von vornherein unterlassen habe.
    Nachdem der Umschlag mit den Fotos von den Händen der Fachangestellten in die des Ägypters gewechselt hat, berste ich förmlich vor Neugier.
    Die eigenen, verinnerlichten und erinnerbaren Bilder mit den Spuren zu vergleichen, die das Licht der jeweiligen Situation auf dem unspektakulär braunen, löchrigen Streifen hinterlassen hat, fasziniert mich immer wieder.
    Meine Faszination ist jedoch keineswegs unabhängig vom Bildgegenstand, und ich gestehe, dass ich mich vorwiegend für jene Fotografien interessiere, auf denen ich selbst zu sehen bin. Das merkwürdige Gefühl, der kleine Schreck, der mich überkommt, wenn ich mein Gesicht auf einem Foto entdecke, die seltsame Spannung, welche der plötzliche Perspektivwechsel und das Vertauschen von Sehen und Gesehenwerden mit sich bringen ⁠… All das übt zuweilen eine fast hypnotische Wirkung auf mich aus. Es ist erstaunlich, wie lange ich der Fremden auf dem Abzug in die Augen starren kann, ohne dabei zu glauben, dass ich das bin.
    Der Ägypter ist kein besonders neugieriger Mensch. Wenn ich ihn nicht wiederholt zum sofortigen Öffnen des Umschlags drängen würde, wäre er glatt imstande, mit dem Betrachten der Bilder bis nach dem Mittagessen zu warten. Gut, dass ich meine Hälfte der einen Tasse Kaffee, die wir uns noch leisten können, bereits intus und daher beide Hände frei habe.
    Nach den ersten vier, fünf Landschaftsaufnahmen erhöhe ich die Geschwindigkeit, mit der ich den Stapel durchgehe, beträchtlich, wobei meine Hoffnung, auf eine interessante Aufnahme zu stoßen, mit jedem Himmel-Berge-See-Motiv schrumpft. Offenbar hat der Ägypter es doch vorgezogen, das, was uns, Saxofonist, Cellist und Pianistin, widerfahren ist, zu erleben, anstatt es mit Hilfe eines dritten Auges zu beobachten. Eigentlich dürfte mich das nicht weiter irritieren. Schließlich taucht in keiner meiner Zelt-, Steg- und Freibaderinnerungen ein Blitzlicht auf ⁠…
    Ich kann mir meine Erwartungshaltung nur so erklären, dass ich, wiewohl mir die Situation, die zu Bild Nr. 17 geführt hat, mehr Traum als Realität zu sein schien, dennoch auf die Fähigkeit des Films vertraute, etwas von dem festzuhalten, was war.
    Jetzt, wo ich das Foto in den Händen halte und spüre, wie Röte in meine Wangen kriecht, sind die 16 vorausgegangenen Enttäuschungen im Nu vergessen. Die 10x15 cm große, farbig-glänzende Fläche rechtfertigt meine Aufregung vollkommen.

    Bild Nr. 17
    Der letzte Abend, die letzte Nacht. Wir sind den Sternen in den See gefolgt, schwimmen gemeinsam, unsere nassen, dunklen Schöpfe zwischen zwinkernden, hellen Augen. Von den orangefarbenen Lichtlachen, die sich am lärmenden Westufer wie Öl auf das seichte Geplätscher legen, trennt uns weite, stille Tiefe. An unserem Strand herrscht Bettruhe, ist alles ausgeknipst. Das schummrige Leuchten der Laternen, welche den Weg zum Zeltplatz säumen, erreicht weder Steg noch Wasser.
    Dicht neben mir pflügen die Arme des Cellisten das Schwarz. Die Bewegungen, mit denen er das Wasser verdrängt, sind nah genug, um meinen Beinschlag vorsichtig und behutsam ausfallen zu lassen. Ich will ihn nicht treten.
    Wir erreichen die Bojen, klammern uns an rundes Plastik, von dessen Rot die Nacht nichts übrig lässt. Meine Hände zwischen seinen. Unser Rastplatz ist eng und kalt und wunderbar. Zitternde Lippen sind egal. Auf dem Rückweg zum Steg hoffe ich, dass der Ägypter noch immer schläft. Heute ist kein Platz für drei.
    Wir trocknen uns ab. Gänsehaut am ganzen Körper. Fröstelnde Schultern. Nasse, sandige Sohlen auf glitschigen Planken, die zu Asphalt, Laternen und dem Weg zum Zeltplatz führen.
    Neben uns tauchen die Waschräume auf. Seine Hand greift mein Handgelenk: »Lass duschen gehn.«
    Die Männerdusche ist ein gekachelter Würfel mit zwei Meter Kantenlänge. Wir lassen die Finger vom Lichtschalter, drehen alle Duschen auf, werden zu Schatten im Wasserdampf, die sich an gegenüberliegenden Wänden herumdrücken, ich rechts, er
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