Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein
Autoren: Lisa Kraenzler
Vom Netzwerk:
Aufregung verstärken den Reiz.
    Am Ende solcher Überlegungen, fällt mir die Antwort auf die eingangs gestellte Frage plötzlich leicht. Sag schon, was willst du von ihm? Ich will das Gefühl, das ich unter der Dusche hatte. Sonst nichts.
    73.
    Freitagabend besucht mich der Ägypter. Wir fläzen auf dem von mir errichteten Matratzenlager im Wohnzimmer und lassen uns vom Plattenspieler meines Vaters beschallen, aus dessen Boxen das absolute Maximum an Lautstärke dröhnt. Was auf den Plattenteller kommt, überlassen wir mehr oder weniger dem Zufall, indem wir ausschließlich die Alben auswählen, deren Cover uns gefällt. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass unsere Auswahl größtenteils aus Musik der späten Sechziger- und Siebzigerjahre besteht, welche im Regal meines Vaters eine eigene, als »Psychedelic Rock« betitelte, Abteilung bildet.
    Gegen Mitternacht zappen wir uns, auf der Suche nach erotischem Schund, durch die Privatsender und entscheiden uns für den Streifen »Die Rache der Laura Gil« – eine Rache, die ich mir bedeutend spannender vorgestellt hätte. Noch vor Ende des Films falle ich in einen unruhigen Schlaf. Der Fernseher flimmert indessen unbeirrt weiter, und das Nachtprogramm von RTL 2 manipuliert meine Träume bis in die frühen Morgenstunden.
    Als ich die Augen aufschlage, zeigt die Uhr am Videorekorder 7.01 Uhr. Die graue Schlafsackwurst mit ägyptischer Füllung schnarcht selig vor sich hin.
    Ich bin enttäuscht. Irgendwie hatte ich mir von meiner ersten sturmfreien Nacht mehr erwartet, und ich spüre einen gewissen Groll gegen den Ägypter in mir aufsteigen, den ich für die Langeweile der letzten Stunden verantwortlich mache.
    Was ist diese Schlafsackwurst, wenn nicht die verkörperte Langeweile!? Die nervtötenden, ewig gleichen Atemgeräusche aus dem Innern der grauen Pelle verunmöglichen mir jede weitere Sekunde auf dem Matratzenlager. Ich muss aufstehen.
    Wütend gehe ich auf die Suche nach der Fernbedienung, reiße Decken und Matratzen hoch und lasse meinen Frust an den Sofakissen aus, unter denen ich nur nachsehe, um sie anschließend mit voller Wucht gegen Sitzflächen und Rückenlehnen schmettern zu können.
    Aus dem Schlafsack tönt derweil protestierendes Stöhnen. Offenbar hindert mein Lärmen den Ägypter am Weiterschlafen. »Scheiß Penner«, fluche ich vor mich hin und nehme mir fest vor, den heutigen Abend komplett anders zu gestalten.
    Angesichts grün-glitzernder Zahnpasta, gleichfarbigem Gras und wolkenlos hellem Himmel bessert sich jedoch meine Laune. Von Wetter und Minzfrische versöhnlich gestimmt beschließe ich, Frühstück zu machen.
    Vier ausgepresste Orangen, zwei hartgekochte Eier und zwei Scheiben Toast später zwinge ich den »Scheiß Penner« zum Aufstehen.
    Leider kann er meine Begeisterung für die wunderbar exakten Scheiben gleicher Stärke, in welche der Eierschneider die Hühnereier verwandelt, zu dieser frühen Stunde nicht recht teilen ⁠…
    Es wird ein blauer, heißer Tag werden. Ein Tag, an dem ich nichts anderes tue, als auf den Abend zu hoffen.
    74.
    Samstag, 21.05 Uhr, kurz nach Ende der Orchesterprobe. Der Ägypter ist auf Toilette.
    Letzte Chance.
    Der Cellist: »Was machst du heute Abend?«
    Die Pianistin: »Nichts.« Sie legt den Kopf schief und lächelt vielsagend.
    Er bemüht sich um einen möglichst sachlichen, unaufgeregten Tonfall. »Wo wohnst du eigentlich?«
    Sie nennt ihm eine Straße mit Tiernamen sowie ihre Hausnummer und bestätigt seine Bemerkung über den »Arsch der Welt«, an dem sich ihr Dorf befinde, mit einem Nicken.
    Vom Ende des Gangs nähert sich der Ägypter.
    Wild entschlossen, die wenigen noch verbleibenden Sekunden der Zweisamkeit bestmöglich zu nutzen, lässt sie alle Zurückhaltung fahren.
    Die Pianistin: »Das Duschfoto ist übrigens ziemlich gut geworden ⁠…«
    Der Cellist (grinsend): »Das wundert mich nicht.«
    Eine Viertelpause lang schauen sie sich an. Dann antwortet die Pianistin (etwas verlegen): »Mich auch nicht.«
    75.
    Noch immer Samstag, allerdings eine gute Stunde später. Es ist eher dämmrig als dunkel.
    Wärme steigt vom Asphalt auf. Die Thermometer zeigen 22 Grad plus.
    Ich verlasse den Gehweg und biege in unseren Hof ein. An der Hauswand lehnt ein klappriges Herrenrad der Marke Kirsch. Mein Herz ist eine rote Faust, die gegen Rippen boxt.
    Bis zur Haustür sind es siebzehn Stufen.
    Er lehnt in der Nische neben dem Briefkasten. Als er sich von der Wand löst und mir entgegenkommt, ergreift
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher