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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst
Autoren: Peter Lindenthal
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draußen auf der Straße einen der drei Radler, die mich überholt haben, wie er alleine, durchfroren und ratlos in seinem Wegführer blättert. Habe ich sie also wieder überholt. Sie mußten sicher länger in Cebreiro Rast machen, um sich aufzuwärmen. Er hat seine Freunde bei einer Abzweigung aus den Augen verloren und weiß jetzt nicht, ob sie zum Kloster Samos oder direkt nach Triacastela abgefahren sind.
    Leider kann ich ihm nicht helfen und wünsche ihm von ganzem Herzen, daß er seine Kameraden wiederfinden möge. Mir ist etwas Ähnliches vor Jahren bei einer Fahrt durch die Wüste von Arizona passiert, und ich kann ihm deshalb gut nachfühlen, wie verzweifelt er ist.
    Wir waren damals zu zweit mit zwei Autos unterwegs, ich war nach zwei Jahren Entwicklungshilfe in Mexico auf der Reise nach Alaska, während mein Freund Wolfgang wieder in sein Projekt nach Guadalajara zurückfahren mußte. Deshalb zwei Autos. Auf Grund beiderseitiger Unachtsamkeit verloren wir uns aus den Augen und trafen uns erst nach einem Jahr (!) wieder in Österreich. Eines habe ich aus dieser ganz beschissenen Erfahrung gelernt: immer einen Treffpunkt zu vereinbaren, an dem man aufeinander wartet, sollte man sich verlieren!
    Ich beschließe diesen ersten, kalten, aber schönen galizischen Tag standesgemäß — der Hirte hat mich auf den Geschmack gebracht — mit einem heimischen, höllisch scharfen Aguardiente in der Bar des Gasthauses. Noch drei Tage bis Santiago!

    Samstag, 22. April, abends in Monte del Gozo

Die letzte Nacht als Pilger

    Ich sitze in einer der 168 Pilgerzellen — vier Stockbetten auf drei mal vier Metern — im letzten „Refugio“, in Monte del Gozo, fünf Kilometer vor Santiago.
    In Erwartung eines Pilgeransturmes nie dagewesenen Ausmaßes hat die galizische Regionalregierung dieses Auffanglager mit einer Kapazität von über 1200 Betten im Jahr 1993 am „Berg der Freude“ errichten lassen. Berg der Freude, weil die Pilger von der Spitze des Hügels nach ihrer oft jahrelangen, entbehrungsreichen Fahrt zum ersten Mal die Türme der Kathedrale von Santiago erblickten und daraufhin die letzten Kilometer voller Freude laufend hinter sich brachten. 1993 war ein heiliges Jakobsjahr, da der 25. Juli, der Jakobitag, auf einen Sonntag fiel. Zu diesem Anlaß kam auch der Papst nach Santiago (mit dem Flugzeug) und mit ihm die Massen, für welche die zwölf Baracken mit jeweils 112 Betten errichtet wurden. Jegliche Pilgerromantik muß da von einem abfallen, aber vielleicht ist das beabsichtigt, sozusagen als Vorbereitung auf die Zeit „danach“?
    Morgen komme ich ans Ziel, und dann beginnt mein Leben als Ex-Pilger, darauf kann ich mich ruhig jetzt schon vorbereiten. Gott sei Dank habe ich das riesige Areal fast für mich alleine. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich mich nach zwei Monaten der Einsamkeit unter tausend Pilgern fühlen würde! Außer mir sind heute nur zwei weitere Pilger im Refugio, und es sind zu meiner Überraschung und auch Freude Alex und Eugenia mit ihren Mountainbikes, die ich zuletzt in Burgos getroffen hatte. Somit schließt sich auch der Kreis der Begegnungen auf dem Camino, Alpha trifft Omega. Sie waren die ersten Pilger, die ich traf, und sie sind auch die letzten.
    Ich habe es tatsächlich in drei Tagen von Alto do Poio bis hierher geschafft — 140 Kilometer! — , aber Galizien hat es mir nicht leichtgemacht, besser gesagt, es hat für mich sein klassisches Wetterprogramm abgespielt: Kälte, Regen, Graupeln, Schnee — was mir lieber ist als Regen, weil er weniger naß ist Wind und in den Regenpausen etwas Sonne. Es heißt nicht umsonst, daß es in Galizien mehrmals am Tag schön ist! Für mich bedeutete das ein Wechselbad, warm — kalt, Zeug an — Zeug aus. Die Landschaft war anfangs gebirgig, dann hügelig, ein stetes Auf und Ab. Grün, viel Wasser — von unten und von oben. Das ganze Land ist durch Steinmauern unterteilt, hier hat die „Parcelaria“, die Grundzusammenlegung, noch nicht zugeschlagen, wie in Rioja und Kastilien, wodurch große Stücke des historischen Jakobsweges verschwunden sind. Für die, deren Pilgerfahrt erst südlich oder westlich von Pamplona beginnt, ist dies wirklich der schönste Teil des Jakobsweges, weil er noch zum größten Teil intakt ist und weder Straßen oder Autobahnen noch große Städte alles zerstört haben. Aber die Leute sind verschlossen, fast unfreundlich. Nach einem Jahrtausend Pilgerei hat man vielleicht wirklich die Nase voll. Alles
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