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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst
Autoren: Peter Lindenthal
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betreffend, bekommen wir von ihm aber gratis. (Jetzt bin ich bös’, ich weiß!) Nach einer eingehenden Musterung von uns beiden nebst unseren Rucksäcken erklärt er mich für geeignet, die schwierige Bergvariante nach Trabadelo zu wagen, während er Juan rät, doch auf dem leichteren Weg im Tal — der Straße entlang — zu bleiben.
    Die schwierige Bergvariante stellt sich als wunderschöner Wanderweg heraus, der mich zuerst über ginsterübersäte Hänge und dann durch lichte, helle Kastanienhaine führt. Die Schwierigkeiten weichen mir anscheinend aus, denn im Handumdrehen bin ich in Trabadelo , wo gerade Juan gemächlich auf der Straße daherstapft — der Abschied nach dem Frühstück war also doch nicht der letzte.
    Als es zu regnen beginnt, gebe ich Gas und verspreche Juan, nach einem trockenen Unterstand Ausschau zu halten und dort auf ihn zu warten. Juan ist ganz gerührt, wie ich ihn — triefend naß und müde — von der Straße in die trockene Scheune hereinwinke und mit einem heißen Kaffee empfange! — Ich leiste mir ja den Luxus eines kleinen Gaskochers, der sich jetzt wieder einmal bezahlt macht.
    Nach der Mittagspause wird der Weg steiler, das Wetter noch unfreundlicher und der Regen zu Schnee. Auf dem Aufstieg zum Cebreiro bleibt Juan hinter mir, mit seinen über 60 Jahren ist er doch langsamer unterwegs, dafür überholen mich drei junge spanische Radpilger. Erschöpft, bis auf die Haut durchnäßt und unterkühlt, fragen sie mich, wie weit es noch bis Cebreiro ist (das Dorf und der Bergrücken tragen den gleichen Namen), und kämpfen sich mühsam, kaum schneller als ich, die letzten zwei Kilometer gegen Schnee und Sturmwind weiter.
    Am Cebreiro beginnt Galizien, deshalb regnet bzw. schneit es ja auch. Das gehört zu dieser dem Atlantik zugewandten Region wie zu Irland. Der Cebreiro wird auch der galizische Gralsberg genannt, weil sich in seiner schlichten vorromanischen Kirche ein berühmtes Hostienwunder zugetragen haben soll. Vor den Augen eines im Glauben schon ziemlich lau gewordenen Paters des Cebreiro-Klosters wurden während der Wandlung die Hostie zu Fleisch und der Wein im Kelch zu Blut.
    Es ist früher Nachmittag, ich gehe noch ein Stück weiter. Was sollte ich bei dem entsetzlichen Wetter auch anderes tun? Es gibt zwar eine Pilgerherberge in Cebreiro, noch dazu in einer „Palloza“, der strohgedeckten Rundhütte der keltiberi-schen Ureinwohner Galiziens, aber ich will weiter, es sind noch 150 Kilometer bis Santiago! Juan werde ich nicht mehr sehen, das tut mir ehrlich leid, also war es doch gut, daß wir uns schon in Villafranca umarmt haben.
    Das Wetter klart etwas auf, der Pfad am Kamm des Cebreiro entlang beschert mir am Ende des Tages noch ein Wandererlebnis erster Güte. Nebelfetzen, die vom Wind immer wieder über den Kamm gejagt werden, hin und wieder dicke, nasse Schneeflocken, die mir ins Gesicht klatschen, die karge Gebirgslandschaft, Felsen, Büsche, Weideland, und die absolute Einsamkeit, die mich umgibt, lassen mich zum Pilger einer Zeit werden, in der die Überquerung des Cebreiro ein gefährliches Abenteuer war. Verstärkt wird dieses fast unwirkliche, aber sehr intensive Erleben durch die Begegnung mit einem schweigsamen Hirten. Eine offenstehende, leere Schäferhütte am Wegrand lädt mich zu einer kurzen Rast ein, die Kälte, die Nässe und die Müdigkeit sind doch schon fast bis zu meinen Knochen durchgedrungen. Ich bin gerade dabei, mir mit klammen Fingern eine Zigarette zu drehen, was verdammt schwierig ist, als ein Schatten die Türöffnung verdunkelt. Es ist ein alter Mann, ärmlich gekleidet, der sich wortlos auf einen Stein mir gegenüber setzt. Meine Zigarette nimmt er gerne an, dafür revanchiert er sich mit einem Schluck aus seinem Flachmann. Er spricht kaum Spanisch, aber das Wesentliche ist ja bereits durch unsere Gesten gesagt worden. Auf meine Frage, warum die Frau in Hospital de Condesa — vor einer halben Stunde habe ich den Ort durchquert — das Refugio nicht aufsperren wollte und mich einfach weiterschickte, was mich natürlich ziemlich frustrierte, sagt er, sie sei bekannt dafür, daß sie die Pilger nicht besonders möge. Aber in Alto do Poio gäbe es ein Gasthaus, das früher als Refugio gedient habe, dort könne ich sicher übernachten.
    Und so ist es auch. Ein vollkommen leeres, aber sauberes Zimmer mit Holzboden ist für meine erste Nacht in Galizien mein Koch-, Eß- und Schlafplatz in einem. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sehe ich
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