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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst
Autoren: Peter Lindenthal
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heute waren Licht- und Schattenseiten des Weges noch nie beieinander!
    Der Windstoß der viel zu nahe — und zu schnell — an mir vorbeifahrenden Laster droht mir jedesmal den Hut vom Kopf zu reißen, und ich fühle mich entsetzlich fremd, alleine und ausgesetzt.
    Aber auch die Lastwagen fahren vorüber und machen wieder dem Licht Platz, das aus dem weitgeöffneten Tor eines Weingutes in Cacabelos herauslacht. Ich bin im Bierzo, einem für seine exzellenten Weine bekannten Gebiet! Neben dem Tor hängt ein großes Schild, auf dem alle vorbeiziehenden Pilger herzlich zum Eintritt aufgefordert werden, um auf Kosten des Hauses Wein und Empanadas (gefüllte Teigtaschen) zu genießen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, und die nächste halbe Stunde verbringe ich in der äußerst charmanten Gesellschaft von Elena, der hübschen Juniorchefin, die mir Wein und Empanadas serviert und anscheinend gerade Zeit hat. Oder bin ich so interessant und attraktiv — ich lege mich jedenfalls mächtig ins Zeug! — , daß sie ihre zweifellos vorhandenen Pflichten für eine Weile vergißt? Wie auch immer, die unverhoffte Rast wirkt auf mich — vor allem durch die Gegenwart der hübschen Spanierin, der Wein alleine ist es sicher nicht! — wie Wasser auf trockenes Moos.
    Physisch und psychisch gestärkt sind die letzten Kilometer bis Villafranca del Bierzo kein Problem mehr, außerdem verläuft der Pilgerweg wieder abseits der Straße durch die Weinfelder. So kostet es mich auch überhaupt keine Überwindung, knapp vor der Ortschaft das Angebot eines Mannes, mich in seinem Auto bis zur Herberge mitzunehmen, höflich, aber bestimmt abzulehnen. Wenig später entpuppt sich der Herr als der berühmte Jato, der Wirt des Refugios „Ave Fenix“. 1987 war die damalige Herberge einem Brand zum Opfer gefallen, und er hat sie in einem alten Gewächshaus wieder aufgebaut — deshalb Ave Fenix. Der „Vogel Phönix“ befindet sich unmittelbar neben der kleinen Santiagokirche aus dem 12. Jahrhundert mit ihrer berühmten romanischen Gnadenpforte, der Puerta del Perdón. Hier konnten schwerkranke Pilger, die es nicht mehr bis Santiago schafften, ersatzweise den Sündennachlaß erlangen, was sonst nur bei Erreichen des Apostelgrabes gewährt wurde.
    Der Abend bei Jato verläuft sehr interessant. Seine Frau bietet für ein Spottgeld ein großartiges Menü an, da sage ich nicht nein, mein Proviant bleibt im Rucksack. Am Tisch sitzen außer mir noch drei spanische Radpilger, ein Holländer, der „gegen den Strom schwimmt“ — er geht den Weg von West nach Osten! — , ein blutjunger spanischer Landstreicher, der die Vorteile des Pilgerdaseins entdeckt hat — am Pilgerweg ist er Pilger und kein Landstreicher — , und zu meiner großen Freude auch mein alter Freund Juan aus Venezuela. Habe ich also doch noch einen von der „alten Garde“ aus Puente la Reina eingeholt, trotz aller Verzögerungen!
    Es ist fein, sich an den gedeckten Tisch zu setzen, eigentlich zum ersten Mal in Spanien, und mit anderen Pilgern gemeinsam zuzulangen. Auch wenn Jato fast ausschließlich alleine das Wort führt. Ex-Priester, Dichter, Spinner, Handaufleger, autoritär, aber großherzig und gastfreundlich, voll von christlicher und mystischer Süße. Licht, Harmonie und Liebe sind seine Lieblingsworte. Zum Höhepunkt des Abends bereitet er uns eine „Queimada“, eine Art Feuerzangenbowle auf der Basis von Zuckerrohrschnaps, die er uns begleitet von magischen Zauberformeln in einer fremden Sprache serviert. Na ja. Schön exotisch, aber meine Sache nicht. Ich merke, daß sich auf dem Jakobsweg ganz schön viele Zeitgenossen aus der mystisch-esoterischen Ecke tummeln. Da ist Jato nicht der einzige, vielleicht aber der geschäftstüchtigste. Neben dem Restaurantbetrieb — für die Übernachtung in einer Gewächshauskoje verlangt er Gott sei Dank nichts — bietet er gegen Bezahlung den Transport der Rucksäcke auf den Cebreiro an, weil der Weg dorthin so steil und schwierig sei. Wieder „na ja“ meinerseits. Aber wie gesagt, Kommerz und Esoterik führen eine harmonische Ehe, und der Jakobsweg mit seinen Wundern, Legenden, Kelten und Templern ist dafür die ideale Spielwiese.

    Mittwoch, 19. April Villafranca — Alto do Poio

Galizien!

    Juan und ich stehen als erste auf — wir sind eben Weitpilger mit dem schon veränderten Lebensrhythmus frühstücken gemeinsam mit Jato und brechen auch gemeinsam auf. Jatos Rucksacktaxi lehnen wir natürlich ab, Tips, den Weg
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