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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst
Autoren: Peter Lindenthal
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ums Mont-Blanc-Massiv. Das hat mit Pilgern auch nichts zu tun, es ist sein Job. Wie oft er die „Tour“ wohl schon gemacht hat?
    Gott sei Dank treffen später noch zwei spanische „Radpilger“ ein, die auf dem „Camino Mozarabe“ aus Sevilla gekommen sind. Bei ihnen springt der Funke gleich über, wir haben uns eine Menge zu erzählen. Der „Camino“, auch „Via de la Plata“ genannt, soll ganz unberührt und sehr schön sein. Vielleicht ein Projekt für später?
    Beim Einschlafen denke ich mir noch, daß heute Ostersonntag war, das wichtigste Fest der Christenheit. Und ich habe ihn gar nicht besonders begangen! Oder sind die 40 Kilometer auf dem Pilgerweg vielleicht doch nicht die schlechteste Methode, Ostern zu feiern?

8. Kapitel

Finale Furioso

Ostermontag, 17. April Astorga — Manjarín

„Una luz en el camino“

    Heute steigt der Weg bis auf 1500 Meter empor, zum „Cruz de Ferro“, einem kleinen eisernen Kreuz an der Spitze eines Pfahles. Für die Pilger, die über Roncesvalles und nicht über den Somport-Paß gehen, ist es der höchste Punkt auf dem Jakobsweg. Auch ich lege hier, wie schon Millionen von Pilgern seit Jahrhunderten, am Fuß des Pfahles einen Stein nieder. Der Brauch ist mit Sicherheit vorchristlichen Ursprungs — schon die Römer legten Steine zu Füßen des Weggottes Merkur — und soll, ähnlich wie die Federn der Hühner von Santo Domingo de la Calzada, eine gesunde Heimkehr erwirken. Es ist beeindruckend, wie sich in dieser unwirtlichen, windumtosten und kargen Höhe plötzlich ein Steinhügel erhebt. Wie viele Pilgerwünsche werden es wohl gewesen sein, die den Hügel Stein für Stein auf etliche Meter haben anwachsen lassen?
    Bald nach Astorga verließ der Weg die Straße und schlängelte sich sanft steigend auf die Montes de León, die Meseta blieb endgültig hinter mir. In den kleinen, manchmal zur Gänze ausgestorbenen Dörfern, die den Weg säumen, reihte sich im Mittelalter Herberge an Herberge, die Etappe war schwierig und bei schlechtem Wetter auch gefährlich, da Wintereinbrüche bis ins späte Frühjahr hinein keine Seltenheit sind. Heute aber ist ein prachtvoller Frühlingstag, Ostern, das Fest des Wiedererstehens des Lebens, lacht mir aus jedem Baum, jedem Ginsterstrauch entgegen, und mein Herz lacht, wie ich mutterseelenalleine durch die einsame Landschaft stapfe und langsam an Höhe gewinne.
    Von den Franzosen habe ich mich in der Früh ohne allzu großes Bedauern verabschiedet, sie saßen alle noch beim Frühstück. Die Nacht war kurz und schrecklich, immer wieder wurde ich durch hemmungsloses Schnarchen geweckt, zu zwölft konnten sie sich ja perfekt die ganze Nacht hindurch abwechseln! Heute stehen aber eh „nur“ 31 Kilometer auf meinem Marschplan, da werde ich den fehlenden Schlaf nicht so arg spüren.
    Das letzte Teilstück des Tages führt mich vom „Cruz de Ferro“ über weitum mit blühendem Heidekraut — Erika, Heimaterinnerungen werden wach! — bedeckte Hänge wieder bergab zum verlassenen Dorf Manjarín, wo mich ein Refugio der besonderen Art erwartet. Tomás, ein Aussteiger aus Madrid, hat eines der leerstehenden Häuser einfach besetzt, notdürftig instand gesetzt, ein paar Stockbetten hineingestellt, und schon war das Refugio „Una luz en el camino“ („Ein Licht am Weg“) fertig! Fließendes Wasser gibt es aus einer Quelle hinter dem Haus, und seitdem Tomás auf Betreiben seiner Gegner der Strom abgedreht wurde, spenden eine Gaslampe und Kerzen notdürftig Licht, damit das Refugio überhaupt seinem Namen gerecht werden kann. Tomás bezeichnet sich als ordinierten Priester des Templerordens und damit als einen der wenigen echten und legitimen — und schon wieder die Frage nach der Echtheit! — Hüter des Jakobsweges. Er gehört zu den Verfechtern jener These, derzufolge der Jakobsweg ursprünglich ein heiliger Weg der keltischen Druiden nach Finisterrae an der Atlantikküste gewesen sei. Tatsächlich war Galizien — der Name sagt es schon — von den Keltiberern besiedelt, heute noch findet man zahlreiche Zeugnisse ihrer Kultur, ähnlich wie in der Bretagne.
    Die „Entdeckung“ des Jakobsgrabes in 9. Jahrhundert sei demnach nur eine von der Kirche inszenierte — und offensichtlich äußerst erfolgreiche — Christianisierung dieser uralten Tradition gewesen, um der gerade einsetzenden „Reconquista“, der Rückeroberung des islamischen Spaniens durch das Christentum, eine religiöse Rechtfertigung und eine Identifikationsfigur
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