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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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Muss gewesen sein, kurz nachdem das Ganze angefangen hat. Sind also schon einige Zeit tot. Haben das Haus blitzblank geputzt, sich fein ausstaffiert und dann ein Fläschchen Nembutal geschluckt. Waren anscheinend nicht scharf auf die Zukunft.
    Anscheinend.
    Sie betrachtet die beiden einander umschlingenden Toten. Und auf einmal wird ihr etwas klar: Sie hasst sie dafür, dass sie tot sind.
    Und was hattest du als Nächstes vor?, erkundigt sich Moses Todd. Wenn es hier nach Plan gelaufen wäre, wo wärst du dann hingefahren?
    Keine Ahnung. So weit hatte ich noch nich gedacht. Nach Norden vielleicht.
    Die Niagarafälle?
    Die Niagarafälle.
    War mal da, sinniert er. Du stehst ganz oben auf einer Klippe neben den Fällen und lehnst dich übers Geländer – da bleibt dir echt die Spucke weg.
    Hab ich schon gehört.
    Schade. Seine Bemerkung bezieht sich auf den unglückseligen Umstand, dass er ihre Pläne durchkreuzen muss.
    Ja, antwortet sie, schade.
    Hey. Moses Todd weist mit einem Nicken auf die Leichen. Sind dir die Ohren aufgefallen?
    Was is damit?
    Schau’s dir an. Na los, ich will dich nicht reinlegen.
    Sie tritt ans Bett und beugt sich vor. Aus den beiden sichtbaren Ohren ist ein wenig Blut gesickert, das schwarz auf den grauen Wangen eingetrocknet ist.
    Sie lässt sich wieder auf dem Sessel nieder. Jemand hat dafür gesorgt, dass sie nich zurückkommen.
    Und ist das nicht merkwürdig? Kannst du dir vorstellen, wer das war? Jeb könnte es natürlich bei Jeanie gemacht haben, aber wer hat es bei ihm gemacht? Romantisches Mitgefühl, schätze ich. Was meinst du? Sohn oder Tochter, die weinend das Werk des Todes vollenden? Ein neugieriger Nachbar? Die Polizei bei der letzten Evakuierungskontrolle? Auf wen tippst du?
    Weiß nich. Es gibt viele Menschen, die das Richtige tun. Nich alle sind schlecht.
    Da sagst du was Wahres. Er nickt mit einem befriedigten Lächeln. Ja, da hast du wirklich ins Schwarze getroffen.
    Auf jeden Fall, setzt sie hinzu, sind die Duchamps für mich jetzt nutzlos.
    Moses Todd beäugt sie neugierig. Berührt dich ihre Tragödie nicht?
    Das is keine Tragödie, sondern Dummheit – und so was kann ich überhaupt nich ausstehen. Die sind noch schlimmer als die Fleischsäcke.
    Ach?
    Die Fleischsäcke haben wenigstens was gefunden, was sie sich wünschen. Sie machen weiter und immer weiter bis zur letzten Minute, wenn sie zu Staub zerfallen. Die kommen bestimmt nich auf die Idee, sich selber aus der Welt zu schaffen.
    Viele Leute finden die Welt unerträglich, so wie sie geworden ist.
    Wie is sie denn geworden? Seit ich da bin, is sie nich anders geworden.
    Mit einem Lächeln würdigt Moses Todd ihr Alter.
    Die Frage war ernst gemeint, fährt sie fort. Ich will das wissen: Wie is sie geworden?
    Sie ist … Moses Todd stockt, als wollte er sich seine Antwort ganz genau überlegen, als wäre es von größter Wichtigkeit, genau das Richtige zu sagen. Sie ist einsam geworden.
    Mit zusammengekniffenen, ungläubigen Augen starrt sie ihn an. Waren die Leute denn vorher nich einsam?
    Die Leute schon, aber die Welt nicht.
    Sie nickt.
    Noch was. Ihr ist etwas eingefallen. Da unten im Keller hast du gemeint, dass ich nich böse bin. Wieso hast du das gesagt?
    Weil es stimmt.
    Woher willst du das denn wissen?
    Das merke ich einfach, erwidert er schlicht. Ich kann in dir lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch, Kleine.
    Aber damals hast du mir nich geantwortet: Wenn ich nich böse bin, was bin ich dann?
    Du bist bloß wütend. Du trauerst wie alle andern. Nur dass du es nicht zugeben willst. Nicht besonders schwer zu durchschauen.
    Sie lässt sich das durch den Kopf gehen, wendet es hin und her. So richtig klar bekommt sie es nicht zu fassen, aber es brennt wie die Wahrheit. Sie verstaut seine Antwort in einem Winkel ihres Bewusstseins, um später darauf zurückgreifen zu können.
    Dann erhebt sich Moses Todd von seinem Stuhl und kommt auf sie zu. Seufzend schüttelt er den Kopf wie jemand, der bedauert, dass sich das angenehme Zusammensein schon wieder dem Ende zuneigt, weil sich der unerbittliche Lauf der Zeit nicht aufhalten lässt.
    Er lächelt sanft. Wir wissen ja beide, warum wir hier sind.
    Glaub schon.
    Möchtest du nicht dein Messer weglegen?
    Bloß weil du mich drum bittest? So leicht mach ich dir die Sache nich, Mose.
    Er hebt die Waffe und zielt auf ihren Kopf.
    Leg es sofort weg.
    Er steht knapp außerhalb der Hackreichweite ihres Arms. Selbst wenn sie sich noch so schnell bewegt, er ist im Vorteil.
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