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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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handelt. Doch neugierig ist sie trotzdem.
    Also, wie hast du mich gefunden?
    Na ja. Lächelnd streicht er sich über den Bart. Komische Geschichte eigentlich. Dein Freund Maury hat es mir gesagt. Nicht gesagt, sondern gezeigt. Als wir zu dritt eingesperrt waren. Weißt du, nach dem Schlag auf den Kopf warst du ziemlich lang weggetreten. Und in der Zeit haben wir uns ein bisschen angefreundet, dein großer Kumpel und ich. Sogar den kleinen Zettel aus seiner Hosentasche hat er mir gezeigt.
    Die Adresse.
    Genau. Übrigens hast du im Mutantendorf ganz schön für Aufsehen gesorgt. Ich glaube, die standen sich recht nahe, denn es hat ihnen überhaupt nicht geschmeckt, dass du drei von denen abgemurkst hast. Glaub mir, du hast noch nie so hässliche Gestalten über andere hässliche Gestalten weinen sehen. Ich wollte ihnen erklären, dass es nicht deine Schuld ist, dass du einfach ein Problem hast. Eine Art Krankheit oder so. Aber irgendwie waren sie nicht in der richtigen Stimmung, um mir zuzuhören.
    Halt den Mund, sagt sie leise.
    Er verlagert das Gewicht, und ein lautes Knarzen dringt durch die stickige Luft.
    Jedenfalls, fährt er fort, irgendwie bin ich da rausgekommen. Das Messer, das du mir gegeben hast, hat mir geholfen, also danke dafür. Aber einfach war’s nicht. Hab ein Auge verloren.
    Leger deutet er mit dem Lauf der Pistole auf die Stelle, wo das Halstuch über die linke Augenhöhle geschlungen ist.
    Ja, es hat mich ein Auge gekostet, und ich musste eine Geisel nehmen, damit sie mich rauslassen. Das Mädchen, Millie. Die hast du ja auch kennengelernt bei deinem kleinen Zusammenstoß mit ihr im Wald. Ist nicht besonders gut auf uns zu sprechen; auf mich, weil ich sie mitgeschleppt hab, und auf dich, weil du drei von ihren Brüdern oder Cousins umgelegt hast. Schon komisch, wie Gewalt immer zu Gewalt führt. Hab sie übrigens noch bei mir. Eigentlich wollte ich sie in sicherer Entfernung vom Dorf aus dem Wagen schmeißen, hab’s aber nicht getan.
    Warum?
    Keine Ahnung. Fast ein wenig verlegen zuckt er die Achseln. Wo soll sie denn hin, so wie sie ist? Außerdem hat sie uns immer so schön ordentlich unser Essen gebracht. Ich schätze, ich setz sie auf dem Rückweg wieder in der Nähe von ihrem Dorf ab, vorausgesetzt, sie kommt mir nicht in die Quere.
    Temple schweigt.
    Moses Todd wirkt auf einmal defensiv. Du hast deinen Schützling, und ich hab meinen. Also.
    Eine Minute lang sitzen beide stumm da, und viele ungesagte Dinge hängen wie verschlungene Lianen zwischen ihnen.
    Ich dachte, du bist tot, sagt sie schließlich.
    Ihr Tonfall ist nicht feindselig oder erleichtert, sie macht nur eine Feststellung. Seit Beginn seiner Erklärungen ist sie auf die Tatsache fixiert, dass Moses Todd hier vor ihr sitzt, obwohl sie ihn seinem sicheren Tod überlassen hat. Sie wird die Vorstellung nicht los, dass er schon einmal gestorben, aber dann wieder ins Leben zurückgekehrt ist, um hier in dieser verlassenen kleinen Stadt in Texas mit ihr zu sprechen. Und dann muss sie an das Wesen aller Dinge denken und daran, dass Totes nicht tot, dass Vergessenes nicht vergessen bleiben will und dass sich Geschichte nicht in einem Lexikon ereignet, sondern überall, wo man hinschaut. Wahrscheinlich gibt es in der Welt inzwischen mehr Vergangenheit als Gegenwart. Alles in allem.
    Hab schon fast das Gleiche von dir vermutet, antwortet Moses Todd. Was hat dich denn so lang aufgehalten?
    Sie zuckt die Achseln. Wir sind einen Teil zu Fuß gelaufen. Dann sind wir mit einem Zug gefahren, und der war ziemlich langsam.
    Ein Zug? Ein träumerischer Ausdruck tritt in sein Gesicht.
    Ja.
    Wahnsinn, so was hab ich schon ewig nicht mehr gesehen – muss schon fünfzehn, zwanzig Jahre her sein.
    Ja, wirklich ein toller Anblick. Trotz allem muss sie bei der Erinnerung leise lächeln.
    Dampflok?
    Nein, Diesel.
    Wie ich klein war, erzählt er, war in der Nähe von unserem Haus ein Rangierbahnhof. Nachts bin ich immer über den Zaun gestiegen und auf allen Zügen rumgeklettert. Wollte es meiner Ma verheimlichen, weil sie es nicht gern gesehen hat, wenn ich mich da draußen rumtreibe. Aber meine Hände haben mich verraten. Sie waren ganz schwarz.
    Er senkt den Blick auf seine Hände, als wollte er prüfen, ob der Ruß noch da ist. Dann schüttelt er die Erinnerung wieder ab und richtet sein Augenmerk auf die beiden Toten im Bett. Jeb und Jeanie Duchamp. Was hältst du davon?
    Was soll ich davon halten?
    Sie haben sich auf die schnelle Art verabschiedet.
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