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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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– alles unentwirrbar miteinander verschmolzen in trockenem Verfall, der einen schuppigen Kokon über alles breitet.
    Jeb und Jeanie Duchamps, flüstert sie.
    All die vielen Meilen, all die kaputten Straßen, all das vergossene Blut.
    Verdammich.
    Sie geht zum Nachttisch und hebt ein Tablettenfläschchen hoch. Es ist leer. Als sie es wieder zurückstellt, versucht sie es genau an den Ort zu platzieren, an dem es war – in den kleinen münzgroßen Kreis im Staub.
    Dann kniet sie sich hin, um Jeanie Duchamp ins Gesicht zu schauen. Was da auf dem Kissen liegt, ist wie ein Wespennest, unter dessen Oberfläche Tausende von verborgenen Gräben und Höhlen zum Vorschein kommen würden, wenn man es aufstechen würde. Dort lebt die Vergangenheit, eingelagert in den winzigen Kavernen unserer Köpfe.
    Verschlossen und eingesunken ruhen die Lider über den verdorrten Augenhöhlen. Die schuppigen, staubbedeckten Wangen erinnern Temple an die Seiten eines alten Fotoalbums, von denen sich alle Bilder abgelöst haben. Der Mund steht weit offen, und die Zähne schimmern wie Perlen. Lachend, lachend. Innen erkennt sie die Zunge, die zu einem Stück Trockenfleisch verschrumpelt ist und wie ein Stummel aus dem Rachen ragt. Lachend, lachend. Verschrumpelte Zunge und schuppige Haut und Zähne wie große Austernperlen.
    Was lachst du so, Grandma? Ich hab deinen Jungen dabei. Ich hab dir deinen Jungen gebracht – deinen Neffen, deinen Cousin, was auch immer. Hab ihn hergebracht.
    Jeanie Duchamp bleibt stumm.
    Ein guter Junge, fährt Temple fort. Redet nich viel und is nich besonders hell – aber er is ein guter Junge. Du hättest ihn bestimmt gemocht.
    Jeanie Duchamp lacht und lacht.
    Also, jedenfalls. Was soll ich jetzt machen? Ich bin müde. Ich sag’s dir ganz offen, ich bin total erledigt.
    Jeanie Duchamp schweigt.
    Schau dich nur an. Keine Ahnung hast du. Bist nix anderes als ein großes Gebiss.
    Und dann kommt von hinten die Antwort, gesprochen von einer Stimme, die sie sofort erkennt und die sie, wie sie erst jetzt merkt, erwartet hat, da in den von ihr durchstreiften Häusern immer nur eine Person herumspukt.
    Es ist die Stimme von Moses Todd. Damit ich dich besser fressen kann, meine Liebe.

14
    I n einer einzigen Bewegung springt sie auf und wirbelt herum, das stumpf glänzende Gurkhamesser in der schlagbereiten Hand.
    Aber Moses Todd ist außer Reichweite ihrer Klinge. Lässig lehnt er in der Tür zum Schlafzimmer und zielt mit einer Pistole auf ihren Kopf.
    Ganz ruhig, Kleine. Wir beide haben noch eine Rechnung zu begleichen, aber deswegen müssen wir noch lange keine Schweinerei veranstalten.
    Er hat sich verändert, seit sie ihn in der Kellerzelle bei den Erben der Erde zurückgelassen hat. Zum einen ist sein Bart kürzer gestutzt, als sie es in Erinnerung hat. Zum anderen hat er sich einen rot karierten Stoffstreifen, wahrscheinlich ein altes Halstuch, schräg um den Kopf gewickelt, um das linke Auge zu bedecken.
    Ich hab auf dich gewartet, erklärt er. Bestimmt schon eine Woche. Dachte fast, du kommst nicht mehr. Hast dir wohl die Landschaft angeguckt.
    Wie?
    Sie begreift nicht, wie Moses Todd nach Point Comfort kommt. Er kann doch unmöglich gewusst haben, dass sie hierherwill. Wie?
    Gehen wir doch erst mal runter und setzen uns ein bisschen hin. Schließlich hab ich extra ein Feuer für dich gemacht.
    Sie denkt an Maury, der im Speisezimmer mit der Glaskugel spielt.
    Ich geh nich mit dir runter, Mose.
    Wie du willst. Dann erledigen wir den Totentanz eben gleich hier. Nimm Platz.
    Er deutet auf einen Polstersessel, und sie folgt seiner Anweisung. Er holt sich einen Holzstuhl mit geflochtener Sitzfläche von der anderen Seite des Zimmers und stellt ihn verkehrt herum vor die Tür, dann lässt er sich rittlings darauf nieder und verschränkt die Arme auf der Lehne. Der Stuhl knarrt und ächzt unter seiner Last. Die Waffe bleibt in seiner Hand, aber er benutzt sie jetzt mehr als Zeigestab denn als Werkzeug der Gewalt.
    Wenn du mich erschießen willst, dann tu’s, fordert sie ihn mit instinktiver Kühnheit heraus.
    Ich erschieß dich, Kleine, verlass dich drauf. Ich jag dir eine Kugel in den Kopf.
    Die Nüchternheit seiner Bemerkung nimmt ihr den Wind aus den Segeln. Er hat nicht die Absicht, sie leben zu lassen. Es ist eine düstere Wahrheit, anscheinend auch für ihn.
    Sie lehnt sich in den Sessel zurück und legt sich das Gurkhamesser auf die Schenkel. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er
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