Nach dem Ende
diese trügerischen Wegweiser hält, muss allerdings keine Angriffe von Plünderern mehr befürchten, denn auch sie wurden bereits vor Jahren überrannt in ihrer Festung, in dem Kino, wo sie gelernt hatten, den Projektor zu bedienen und wo sie immer wieder die uralten Rollen von Vom Winde verweht laufen ließen, bis sie alle Dialoge auswendig konnten und sich heimlich nach der Wiederkehr dieser Ära sehnten.
Der Regen geht mit einer Kraft nieder, die keinen Widerspruch duldet. Als sollte es der letzte Regen aller Zeiten werden – Noahs Sintflut, die herabstürzt auf das Land wie ein Ozean direkt aus den Wolken. Die ganze Nacht regnet es durch, manchmal so stark, dass sie stoppen muss, weil sie die Straße nicht mehr sehen kann.
Temple stellt den Motor ab und vergewissert sich, dass die Türen verriegelt sind. Dann schläft sie, bis sie von krachenden Donnerschlägen geweckt wird, die einen Geruch von Mineralien und Verbranntem hinterlassen. Im Flackerschein eines Blitzes erkennt sie unglaublich lang und fern den Horizont, doch zugleich klar und deutlich wie den Rand einer Bühne, von der sie stürzen könnte, wenn sie nicht aufpasst.
Sie reibt sich die Augen frei und fährt weiter.
Immer wieder späht sie in den Rückspiegel, in der Erwartung, Moses Todds Scheinwerfer könnten ihr immer noch auf den Fersen sein. Ehrlich gesagt weiß sie nicht, ob sie sich davor fürchtet oder ob sie es sich wünscht. Sie weiß nur, dass es unmöglich ist, selbst wenn er überlebt hat. Sie hat das Auto mit dem Peilsender zurückgelassen. Er kann ihr nicht gefolgt sein – kann nicht darauf gekommen sein, dass sie hierher in diese öde, von jeder Zivilisation aufgegebene Wildnis gefahren ist.
Und der Rückspiegel bleibt leer.
Der Regen hat sie aufgehalten, und es ist schon Morgen, als sie Point Comfort erreicht. Kalt und leichenblass sickert das Tageslicht durch die Regenwolken, die noch immer einzelne Güsse vom Himmel schleudern.
Es ist ein kleiner Ort an einem See. Block um Block gedrungener, einstöckiger Häuser mit kleinen Rasenflecken an der Vorderseite, die längst von Unkraut überwuchert sind. Doch abgesehen von der Rückkehr zu einer urwüchsigeren Form von Natur ist die Gegend von Zerstörungen verschont geblieben. Wahrscheinlich einer der Orte, die schon frühzeitig evakuiert wurden, um zu verhindern, dass die Schaben überhaupt anrückten. Außerdem so weit von jeder sicheren Festung entfernt, dass keine Plünderer hergefunden haben.
Eine Geisterstadt.
Sie lässt den Blick durch die Wohnstraßen gleiten und bemerkt, dass die Briefkästen unbeschädigt sind und eine hübsche Reihe bilden wie Zinnsoldaten – manche sogar mit erhobener Fahne. Auch die Straßenlampen brennen, was bedeutet, dass der Ort an einem noch funktionierenden Stromnetz hängt.
In den Auffahrten parken Autos, auf den Gehsteigen liegen umgestürzte Fahrräder. Ein Haus wurde damals anscheinend gerade renoviert – die Rückseite ist mit Plastikfolien bedeckt, aus denen der Regen schwappt und sich auf dem nackten Lehm zu großen Pfützen sammelt. Einige Garagentore stehen offen und enthüllen die Utensilien des Vorortlebens an den Wänden: Rasenmäher, Gartenstühle, Kajaks, Geräte, deren Zweck sie nicht erschließen kann, Hämmer, Sägen und Bohrer an Haken in großen Brettern über Werkbänken.
Breit und einladend schimmern die weißen Türen, auch wenn die Sträucher stark gewachsen sind und viele Fenster im Erdgeschoss verdecken.
Sie schielt zu dem Mann neben ihr. Das ist ein einsamer Ort, Maury.
Er starrt geradeaus und wirkt aufgeregt, ein winziges Wimmern dringt aus seiner Kehle.
Erkennst du es wieder?
Das leise Greinen hält an – ob Lied oder Klage, ist nicht zu erkennen. Seine blanken Augen verraten nichts.
Ich sag dir was, Maury. Sieht nich besonders gut aus, was die Duchamps angeht. Anscheinend sind deine Verwandten beim ersten Alarm ganz schnell abgehauen. Clever, schätz ich. Aber das heißt natürlich, dass sie jetzt irgendwo sein können. Wenn sie überhaupt noch leben.
Das Wimmern wird lauter.
Da nagt was an dir, ich seh schon. Erkennst du den Ort wieder? Oder heulst du nur den grauen Himmel an? Manchmal wünsche ich mir wirklich, dass du reden könntest, du alter Dussel. Dann wär alles viel einfacher für uns zwei.
Sie schaut sich um. Der Regen hat nachgelassen, aber noch immer putzen die Scheibenwischer einen dicken, trüben Film weg, der ihre Sicht behindert.
Na ja, meint sie schließlich. Wenn wir schon hier
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